IM KERN DES BURN-OUT-SYNDROMS STECKT EIN EMPATHIE-VERLUST

Christine Ax hat den Neurologen, Psychiater und Arzt Joachim Bauer bei der Veranstaltung „Andersorte“ in der Erwachsenenbildungseinrichtung St. Virgil Salzburg interviewt.

In Deutschland und Österreich geben wir immer mehr Geld für die Folgen von Burn-out aus. Was denken Sie darüber?

Burn-out ist Realität und keine Modeerscheinung, mit der man sich schmückt. Ich sehe sehr viele Menschen mit Burn-out. Und Burn-out ist mehr als Erschöpfung. Das wirkliche Kennzeichen von Burn-out ist der Verlust an Sinn, der Verlust an Liebe zur Arbeit oder der Verlust der Liebe zu den Menschen, mit denen ich zusammenarbeite. Im Kern des Burn-out-Syndroms steckt ein Empathie-Verlust. Das haben schon Herbert Freudenberger und auch Christina Maslach, die „Gründereltern“ der Burn-out-Forschung, festgestellt.

Wie kommt es zum Burn-out?

Das hat auf der einen Seite mit der Arbeitsverdichtung zu tun, mit Hetze und Sinnverlust. Aber es hat  auch mit dem Verlust an Wertschätzung und Anerkennung zu tun. Die neue Kultur des Kapitalismus führt dazu, dass die Arbeitgeber immer seltener werden, die gute Leistung mit einem guten Einkommen und Anerkennung belohnen. Das hat Gründe. Die großen Investoren, die heute Unternehmen kaufen, wollen den Aktienwert schnellstmöglich in die Höhe treiben. Mit einer guten Behandlung der ArbeitnehmerInnen ist das nicht zu erreichen. Stattdessen wird die Belegschaft reduziert und man lastet denen, die übrig bleiben, mehr Arbeit auf. Die Wertschätzung geht verloren, und die ArbeitnehmerInnen, die an Burn-out erkranken, werden entlassen. Die Arbeitsverträge, die heute geschlossen werden, erleichtern das. Die Unternehmen holen sich neue Leute, denen sie in kürzester Zeit wieder genauso viel Leistung abverlangen, bis auch die krank sind. Das ist die „neue Kultur des Kapitalismus“, wie Richard Sennet es so eindrucksvoll beschrieben hat. Das gute alte Unternehmertum, in dem man langfristig und nachhaltig dachte und wirtschaftete, gibt es kaum noch.

Sennett beschreibt in seinem Buch zum Handwerk auch, wie Fähigkeiten und Kompetenzen in Software gepackt werden und dass immer weniger menschliche Fähigkeiten benötigt werden.

Der handwerkliche Aspekt der Arbeit ist, eine Arbeit um ihrer selbst willen gut zu machen. Sich an der guten Arbeit, die man geleistet hat, zu erfreuen. Eine Freude, die ganz unabhängig von der Bezahlung ist. Ich bin Lehrkraft, und wenn die Klasse Lust hat mir zuzuhören und meinen Unterricht spannend findet, freut mich das. Das ist der handwerkliche Aspekt meiner Arbeit. Als Krankenpfleger zu wissen, dass man nach acht Stunden Arbeit Patienten zurücklässt, die die eigene Arbeit schätzen, auch das ist ein Beispiel für den handwerklichen Aspekt der Arbeit. Und genau das geht in der Arbeitswelt mehr und mehr verloren. Stattdessen haben wir es mit immer mehr entfremdeter Arbeit zu tun. Arbeiten, deren Sinnhaftigkeit man nicht nachvollziehen kann. Zum Beispiel in einem Fast-Food-Restaurant: Burger aus qualitativ nicht hochwertigem Fleisch zu verkaufen, zu einem Lohn der minimal ist, in einem System, in dem es nicht um echte Kundenzufriedenheit geht, sondern um Geschwindigkeit, unter solchen Bedingungen ist man auf einen maschinell zu erledigenden Service reduziert, in dem es völlig egal ist, was man als Individuum einbringt. Diese Entfremdung begünstigt Burn-out. Denn jede Faser unseres Körpers meldet unter solchen Bedingungen zurück: Es ist eigentlich sinnlos, was du da machst.

Schuld ist also der Kapitalismus?

Der Kapitalismus kann zwei Gesichter haben. Ich komme aus Süddeutschland. Dort gibt es noch viele mittelständische und Familienunternehmen. Betriebe, die seit Generationen geführt werden. Da wird sich oft sehr gut um die Mitarbeiter gekümmert. Mit dieser Form des Kapitalismus habe ich kein Problem. Der ist mir tausendmal lieber als ein sozialisierter Zwangsbetrieb, in dem auch wieder Entfremdung herrscht. Solange die Balance zwischen Arbeit und Kapital im Sinne einer wirklichen sozialen Marktwirtschaft gegeben ist, unterstütze ich das. Womit ich wirklich ein Problem habe, ist die oben beschriebene neue Kultur des Kapitalismus. Der Finanzkapitalismus.

Ich komme noch einmal zurück zur Arbeit: Arbeit ist meiner Ansicht nach eine Chance, sich wertvoll zu fühlen und als Mensch eine Funktion zu haben und soziale Verbundenheit zu leben. Das ist die positive Seite. Aber Arbeit hat auch eine Kehrseite. Arbeit darf nicht der alleinige Sinnstifter sein. Das ist gefährlich. Der Verlust der Arbeit, der ja doch recht häufig vorkommt, führt nämlich dann zu einem kompletten Sinnverlust. Und am Ende des Arbeitslebens ist es genauso wichtig, weitere Lebensinhalte zu haben. Ob man ein Musikinstrument spielt, im Garten arbeitet oder wandert, das ist ganz gleich. Das gehört aus meiner Perspektive als Arzt und Psychologe zu einem gesunden Leben.

Sie haben sich heute kritisch über die Rolle der Neuen Medien geäußert und ihren Einfluss auf unsere Kultur. Warum?

Die Erfolgsgeschichte der modernen Medien beruht darauf, dass Menschen gerne kommunizieren. Unsere Belohnungssysteme springen an, wenn wir von anderen wahrgenommen werden. Das ist mit modernen Medien sehr einfach möglich. Die Kehrseite ist, dass diese Kontakte nur virtuell sind. Dass wir dem Anderen nicht in die Augen sehen und ihn nicht physisch vor uns haben. Kontakte, die nur über SMS oder E-Mail stattfinden, sind oft oberflächlich, ohne echte Bindung. Wir wissen aus der Forschung, dass der Mensch höchstens 120 Personen überblicken kann. Junge Menschen kommunizieren auf Facebook oft mit 200 bis 300 FreundInnen. Diese Art der Kommunikation kann nicht nur zur Sucht werden, sie fördert auch eine Verbundenheit, die trügerisch ist. Diese Facebook-Freunde und Freundinnen sind nämlich nicht verfügbar, wenn man Hilfe braucht. Wir haben es mit Beziehungen zu tun, die oberflächlicher sind, als der gute alte „analoge“ Kontakt, von Person zu Person oder in echten Gruppen.

Die neuen Medien verändern auch die Arbeitswelt. Bisher war die Arbeitswelt mit der Erfahrung von Sinn verbunden und ermöglichte und erzeugte soziale Verbundenheit. Wir sollten der Frage nachgehen, ob die neuen Medien in der Arbeitswelt nicht zu Vereinzelung führen. Ob Menschen weniger in Kontakt sind und stattdessen nur noch alleine vor ihren Bildschirmen vor sich hin arbeiten und welche Folgen das hat.

Kommt also mehr WIR oder mehr ICH dabei heraus?

Es kommt mehr WIR heraus, aber dieses WIR ist nicht tragfähig, ist nicht belastbar. Es fördert eine Entwicklung, wie wir sie in Nordafrika beobachtet haben. Der Arabische Frühling wurde durch soziale Medien möglich. Aber als der Aufstand vorüber und die alte Ordnung beseitigt war, waren die Menschen, die nur durch soziale Medien vernetzt waren, nicht in der Lage neue Strukturen zu errichten. Die handelnden Personen kannten sich nicht. Sie waren sich darin einig, dass das Alte weg sollte, aber es gab keine gemeinsame Vision vom Neuen. Arbeitsgruppen, die sich über Monate hinweg getroffen und ausdiskutiert hätten, wie die neue Ordnung aussehen sollte, wären besser gewesen. Meine Hypothese ließe sich an diesem Beispiel bestätigen. Es kommt schnell etwas zu Stande, aber es trägt nicht, es ist nicht nachhaltig. Und das verändert unsere Kultur.

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