WEGEN DER GEWERKSCHAFTEN HÖREN UNS FABRIKBESITZER ZU

Mein Name ist Jessmin Begum. Ich bin 31 Jahre alt und arbeite seit 15 Jahren in der Textilindustrie. Ich habe in vielen Fabriken gearbeitet, sechs insgesamt. In diesen 15 Jahren habe ich viele verschiedene Markennamen gesehen. Ich habe Kleidung hergestellt für H&M, S.Oliver, C&A, Zara, Gap und Walmart.

Ich fing an, in der Textilindustrie zu arbeiten, nachdem ich mein Higher Standard Certificate (Matura/Abitur) abgeschlossen hatte.

Ein Nachbar erzählte mir von einem Job in einer Textilfabrik. In meinem ersten Job war ich ein „Helper“. Ich schnitt die überschüssigen Nähte von den Kleidungsstücken ab. Das habe ich einen Monat gemacht und dann wurde ich zur Näherin befördert. Ich habe ein Jahr in dieser Fabrik gearbeitet. Dann bekam ich einen besser bezahlten Job in einer anderen Fabrik. Ich habe dort monatlich 7700 Taka (85€) mit Überstunden verdient. Dort habe ich neun Jahre gearbeitet.

Die Fabrik stand in einer Freihandelszone. In Freihandelszonen gilt ein anderes Arbeitsrecht. Die Regierung regelt das durch eine Behörde, die sich BEPZA (Bangladesh Export Processing Zone Authority) nennt. Mein erster Job war außerhalb der Freihandelszone. Man merkt den Unterschied. Es ist besser, in einer Freihandelszone zu arbeiten. Dort zahlen sie den Lohn zeitgerecht am siebten Tag des nächsten Monats, sie geben regelmäßig Wochenendurlaub und zahlen Urlaubsgeld. Aber: Dort gibt es keine Gewerkschaften, sondern Workers Welfare Committees (WWC). Die Regierung hat ein Gesetz verabschiedet, das vorschreibt, dass es in jeder Fabrik in der Freihandelszone ein WWC geben muss.

Als in unserer Fabrik ein Komitee gewählt werden sollte, spornten mich meine Freunde an, zu kandidieren.

Sie machten Plakate und Transparente. Ich wurde gewählt. Jedes Komitee hat 12 Mitglieder. Als ein Obmann gewählt werden sollte, wollte den  Job niemand machen. Also habe ich ihn gemacht. Das Komitee wird alle zwei Jahre gewählt. Ich wurde zwei Mal wiedergewählt. Meine Aufgabe als Obfrau war es, mich mit der BEBZA zu treffen. Manchmal kamen sie in die Fabrik und riefen mich mitten in der Arbeit zu sich. Dann musste ich den Arbeitsplatz verlassen und sie im Büro des Geschäftsführers treffen.

Der Fabrikbesitzer setzte mich unter Druck.

Der Fabrikbesitzer sagte der Behörde, dass sie mich jederzeit sprechen dürften, wenn sie etwas wissen wollen. Er sagte es, um einen guten Eindruck zu hinterlassen. Mich aber setzte der Besitzer unter Druck. Er wollte, dass ich nicht zu den Treffen gehe. Er fragte mich, wer sonst meinen Job machen würde. Ich wurde von den Floor Managern, dem Line-Chief und den Vorarbeitern immer wieder unter Druck gesetzt, wenn  ich den Arbeitsplatz verließ. Dann fragte ich die Behörde, warum sie mich während meiner Arbeit riefen, obwohl mich der Geschäftsführer nicht gehen lassen wollte.

Bevor ich weitererzähle, möchte ich zuvor mit ein paar Worten die Fabrik erklären: Sie hatte fünf Stockwerke und in jedem Stockwerk arbeiteten 400-500 Menschen. Wir waren also es insgesamt gut 2.500 Arbeiter. Die zwölf Mitglieder des Kommitees arbeiteten in verschiedenen Stockwerken und machten verschiedene Jobs. In der Mittagspause trafen wir uns, saßen zusammen und diskutierten die Beschwerden der ArbeiterInnen. Wir sammelten Informationen. Und wenn die Behörde kam, gingen wir manchmal zu zwölft dorhin. Manchmal ging ich aber auch alleine hin und trug die Beschwerden der ArbeiterInnen vor. Ich war fast immer diejenige, die den Mund aufmachte. Die anderen sagten wenig. Die Behörde hörte mir zu. Normalerweise kamen sie nich grundlos, sondern dann, wenn die Arbeiter streikten. Trotzdem waren ihre Überprüfungen meist nur Routine. Sie kamen ungefähr 2-3 mal im Jahr.

Also, wie gesagt: Der Fabrikbesitzer setzte mich unter Druck. Er wollte nicht, dass ich meinen Arbeitsplatz für die Treffen verlasse. Vor den Treffen, gabe er mir mehr Arbeit. Wenn ich normalerweise zehn Kleidungsstücke machen musste, gaben sie mir an diesen Tagen 15. Das war unmöglich zu schaffen. Deshalb konnte ich manchmal doch nicht zu den Treffen gehen. Die Fabrikbesitzer arrangierten es so: Wenn keiner von uns gehen konnte, schickten sie Verwandte zu ihnen.

Wann immer ich die Möglichkeit hatte, Beschwerden weiterzugeben, sagte die Behörde, sie würden sich um das  Problem kümmern. Aber geschehen ist nichts. Das Gesetz schreibt eine Arbeitszeit von acht in der Früh bis um fünf am Nachmittag plus zwei Überstunden vor. Aber der Besitzer zwang uns oft 4-5 Überstunden zu machen. Aber weißt Du, wir können nicht jeden Tag bis abends arbeiten! Erstens gibt es ein Sicherheitsproblem für uns Frauen. Und zweitens müssen wir kochen, wenn wir heimkommen. Damals lebte ich noch mit meiner Mutter zusammen. Ich war Single. Meine Mutter kochte für mich. Aber die meisten anderen Arbeiterinnen mussten alles alleine machen. Sie mussten auf ihre Kinder aufpassen und den ganzen Rest erledigen.

Die Behörde reagierten auf  unsere Beschwerden nicht.

Beide, der Fabrikbesitzer und die Behörden untenahmen nichts. Es gab keine Veränderungen. Sie machten nichts. Also mussten wir uns irgendwie eine Stufe höher bemerkbar machen. Wir versammelten uns und entschieden, uns gegen die Geschäftsführung zur Wehr zu setzen. Als Obfrau hatte ich eine gewisse Macht. Es gab 2.500 ArbeiterInnen, die mich unterstützten. Ich konnte ihnen vorschlagen, zu protestieren und die „Middle-Men“ also die Vorarbeiter, die Floor Manager, die Geschäftsführer, die Qualitätsmanager und die Produktionsmanager zu verprügeln. Da ging es uns um die besonders bösen Leute.

Während der Proteste haben wir offen über unsere Probleme gesprochen.

Und wir haben folgende Forderungen gestellt und aufgeschrieben: Mehr Lohn, nicht mehr als zwei Überstunden pro Tag, keine Beschimpfungen während der Arbeit, keine Schläge und – das war uns am Wichtigsten – keine Kündigung wegen des Streiks. Der letzte Punkt war besonders wichtig für uns, denn sonst hätten sie uns einfach feuern können.

Der erste Streik war am 9. Februar 2003. Wir sagten denen vom Top Management und der Polizei, dass wir unseren Streik und unsere Angriffe fortsetzen würden, wenn sie die Forderungen nicht erfüllten. Also unterschrieben sie.

Während meiner Zeit als Obfrau organisierten wir vier Streiks. Nach dem Ersten konnten sie mich nicht mehr feuern. Also suchten sie andere Wege, um mich loszuwerden. Ich wurde vom Besitzer bestochen, mit zwei Millionen Taka (ca. 22.700 €). Er machte sich über mich lustig, gab mir ein Geldbündel und sagte sarkastisch: „ Mädchen, Du weißt gar nicht wie viel Geld das ist. Nimm es einfach und geh!“ Sie wollten, dass ich die Fabrik verlasse, weil ich meinen Mund zu weit aufgemacht hatte.  Sie wussten, dass ich Einfluss hatte. Sie kannten die Risiken. Sie wussten, dass, wenn ich zur Behörde ginge, sie mir zuhören würde. Ich nahm das Geld nicht an.

Während des letzten Streiks war ich im vierten Monat schwanger. Eines Tages wurde ich von einem Ziegelstein verletzt. Die Arbeiter warfen Ziegelsteine in die Fabrik und die Polizei warf sie wieder zurück. Ich habe ihn mit meiner Hand abgewehrt. Ich habe aufgehört zu arbeiten, als ich mein Kind zu Welt gebracht hatte, denn ich wollte es stillen. Sie konnten mich nicht feuern. Aber ich habe wegen meinem Kind gekündigt. Danach war ich eineinhalb Jahre in einer anderen Fabrik außerhalb der Freihandelszone. Dort wurde ich nicht zeitgerecht bezahlt. Seit 2008 bin ich bei der NGWF (National Garment Workers Federation) und arbeite Teilzeit. Ich bin eine Women’s Affair Secretary.

Bei der NGWF lerne ich die Gesetze und die Rechte der FabrikarbeiterInnen kenne.

Und ich informiere die ArbeiterInnen darüber. Ich gehe viel auf die Straße und in die Häuser der ArbeiterInnen. Gleichzeitig arbeite ich in einer Fabrik als „Production Reporter“. Ich verdiene 15.000 Taka. Wenn ich den Job dort verlieren würde, habe ich immer noch den Job bei NGWF.

Es ist wichtig, dass ArbeiterInnen protestieren und für ihre Rechte kämpfen.

So wie wir es damals in meiner Zeit als Obfrau des WWC taten. Wir kannten unsere Rechte und wussten, was fair ist. Wir protestierten, damit die Regeln eingehalten werden. Und wenn es notwendig war, protestierten wir wieder.

Gewerkschaften sind wichtig. Wegen ihnen hören uns die Fabrikbesitzer zu. Wenn ein Fabriksbesitzer einen schwierigen Auftrag hat, wird er zu den GewerkschafterInnen gehen und sagen: „Hört zu Leute, könnt ihr mir helfen und zwei Stunden mehr arbeiten?“ Und sie werden es akzeptieren. So beginnt das Gespräch.

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