CHRISTOPH PFLUGER: DAS NÄCHSTE GELD

„Die wissenschaftliche Nationalökonomie des Mainstreams macht sich über Geld so wenig Gedanken wie der Fisch über das Wasser, in dem er schwimmt. Es ist einfach da. Aber das ist ein Irrtum – es wird gemacht. Und die Gesetze seiner Herstellung sind auch die Gesetze seiner Verwendung“. So beschreibt Christoph Pfluger am Anfang seines Buches „Das nächste Geld“ einen der wichtigsten Gründe dafür, dass selbst Experten und politisch Verantwortliche oft nur wenig verstehen, wie unser Geldsystem funktioniert.

Früher gab es die Theorien über die flache Erde, den Tanz ums Goldene Kalb und den Ablasshandel, um vor dem Fegefeuer bewahrt zu werden. Heute haben wir einen anderen Mythos: „Der große Irrtum dieser Welt ist das Geld, wie es heute geschaffen und verwendet wird – dies ist die Hypothese dieses Buches.“

Dazu greift er auf eine Fülle von historischen Bezügen und Literatur zurück, die zum weiteren Nachdenken über Geld inspirieren. Geld ist für Pfluger ein Teil der Rechtsordnung, allerdings ein schwacher Teil: Eine Art „Glücksvertrag“, dessen Erfüllung nicht gewährleistet werden kann, sondern ein unhaltbares Versprechen darstellt: Denn das Geld, das zur Auszahlung versprochen wird, ist gar nicht vorhanden, sondern wird nur als virtuelle Schuld verbucht. Das führt zu permanenten Krisen und grotesken Finanzblasen:

„Die Mutter aller Blasen ist das Geld an sich in seiner heutigen Form“. Das liegt für Pfluger erstens an dem von Anfang an in die Geldentstehung eingebauten Zins, der exponentiell steigende und im Zeitablauf nicht mehr zu befriedigende Geldansprüche erzeugt. Aber auch, dass die Geldentstehung, also „das kollektive Recht auf angemessene Gegenleistung“, heute privaten Banken überlassen wird, missfällt dem Autor. So wird für ihn das heutige Geldsystem zu einer Gefährdung der liberalen Gesellschaftsordnung, zu einem unzulässigen Eingriff in die Eigentumsordnung, ja sogar zu einer Gefährdung der Demokratie.

Aber nicht nur Wirtschaft und Gesellschaft, sondern auch unsere natürlichen Lebensgrundlagen sind durch das Geldsystem bedroht. Denn der darin eingebaute Zins ist für Pfluger eine Nachhaltigkeitsbremse, die zu „rasendem Stillstand“ führt und zu einer Umkehrung der Zeitrelationen: Der sofortige Konsum wird gegenüber langfristigen Investitionen bevorzugt, alles Zukünftige wird über die auf Zins basierenden Diskont-Berechnungen entwertet. Pfluger bezieht sich hier auf den ehemaligen belgischen Zentralbanker Bernhard Lietaer, nach dessen Untersuchungen über 90 % der Investitionsentscheidungen auf solchen zinsabhängigen Berechnungen basieren. So kommt es zu exponentiellem Anstieg von sofortigem Konsum, zur Produktion von wenig werthaltigen Produkten, zur Vernachlässigung zukünftiger Kosten, aber auch zu einer erschwerten Identitätsbildung von Menschen, die in diesem System leben und arbeiten. Denn immer mehr Bereiche in unserer Gesellschaft müssen in die Geldwirtschaft einbezogen werden, immer härter wird die Konkurrenz aller gegen aller, immer schneller und sinnloser der Konsum. Wir befinden uns laut Pfluger in einer Art „rasendem Stillstand“.

Möglicherweise liegt aber der „peak ego“ schon hinter uns, und vielleicht gelingt eine gemeinsame Transformation des Geldsystems. Das wird dadurch erschwert, dass das Geldsystem immer auch ein Machtsystem ist: Der Sieger darf bestimmen, was die Leit- und Reservewährung der Welt ist, und das sind derzeit die USA. Das jetzige System hat laut Pfluger trotz eindeutiger militärischer Vorherrschaft aber keine Zukunft: Er zitiert den Geldanlageexperten Egon von Greyerz mit der Aussage, dass wir vor einer Zwillingsimplosion von Schulden (200 Billionen Dollar) und Derivaten (1500 Billionen Dollar) stehen. Das Geldsystem ist heute in einem Zustand wie ein „toter Patient, der mit Maschinen in einer Art lebendigem Zustand erhalten wird“.

„Fürchtet Euch nicht“, schließt das Buch, was aber angesichts des gerade Gelesenen nicht leicht fällt. Welche Alternativen gibt es: Da nennt Pfluger zunächst eine Reform in Richtung des vom deutschen Wirtschaftssoziologen Joseph Huber erdachten Vollgeldsystems, bei dem neues Geld nicht mehr von Banken über verzinste Schuld, sondern zinsfrei über öffentliche Ausgaben in Umlauf gebracht wird. Die Geldentstehung wäre genau und öffentlich kontrolliert, und bei der Entstehung des Geldes wären weder der Zins noch die Verschuldung automatisch ins System eingebaut.

In der Schweiz wird über die Vollgeldreform voraussichtlich in ein bis zwei Jahren eine Volksabstimmung stattfinden. Für den Schweizer Bürger Pfluger wäre dies „das Instrument der ersten Wahl“, um die bedrohte Titanic „Finanzsystem“ zu retten. Da aber für ihn nicht sicher zu erwarten ist, dass die Kapitäne der Titanic von dieser Kursänderung überzeugt werden können, empfiehlt er zusätzlich eine Alternativ-Strategie: „Wer in See sticht, hält die Rettungsboote klar“. Dazu gehören für ihn eine Vielzahl von Alternativwährungen und Tauschsystemen, die unabhängig vom jetzigen Geldsystem funktionieren.

Er empfiehlt aber auch Verhaltensänderungen von uns allen, zum Beispiel angemessenes Konsumverhalten, energieautarke Häuser, gute Nachbarschaftsbeziehungen, Erhaltung einer produktiven Landwirtschaft. Für Pfluger sind das legitime, ja notwendige Voraussetzungen, um dem bevorstehenden „Finanz-Gau“ seinen Schrecken zu nehmen und uns allen Mut für eine grundlegende Reform des Geldsystems zu machen.

Für alle, die sich Gedanken über das Geldsystem machen, ist sein Buch eine inspirierende Lektüre und kommt gerade im Vorfeld der Abstimmung in der Schweiz zum richtigen Zeitpunkt. Denn auch wenn es uns gelingt, schon ein paar Rettungsboote einsatzklar zu machen: Es liegt heute an uns allen, die Finanztitanic noch zu einer Kursänderung zu zwingen.

CHRISTOPH PFLUGER: DAS NÄCHSTE GELD

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