DIGITALISIERUNG: CHANCEN UND RISIKEN FÜR DIE NACHHALTIGKEIT?

Tilman Santarius ist Nachhaltigkeitsforscher an der Technischen Universität Berlin und dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), wo er eine Nachwuchs-Forschungsgruppe zum Thema “Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation” leitet. Darüber hinaus schreibt und er zu verschiedensten Themen der Nachhaltigkeit, zuletzt etwa “Der Rebound-Effekt. Ökonomische, psychische und soziale Herausforderungen der Entkopplung von Energieverbrauch und Wirtschaftswachstum.” (Metropolis, 2015). N21 hat anlässlich eines Wien-Aufenthalts rund um einen Vortrag in der Veranstaltungsreihe „Mut zur Nachhaltigkeit“  organisiert von BMLFUWZentrum für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit der BOKU und Umweltbundesamt mit Tilman Santarius gesprochen.

N21: Was kann man sich unter dem Rebound-Effekt vorstellen?

Tilman Santarius: Der Rebound-Effekt beschreibt eine unerwünschte Nebenfolge von Effizienzsteigerungen. Aus ökologischen Gründen macht es Sinn, die Energie- und Ressourceneffizienz von Autos, Energiesparlampen oder durch Gebäudedämmung auch bei Häusern zu erhöhen. Im Ergebnis wird dann pro Wertschöpfungseinheit Energie eingespart; ein effizientes Drei-Liter-Auto verbraucht weniger Benzin als ein konventionelles Auto mit sechs oder neun Litern pro 100 Kilometern.

Allerdings kann dies zugleich dazu beitragen, dass in der  Summe die Nachfrage steigt. Denn zunächst sparen die Autofahrer oder Hausbesitzer Geld ein, wenn ihre Autos oder Heizungsanlagen weniger verbrauchen; mit dem gesparten Geld kann dann mehr konsumiert werden. Und wenn viele auf ein Drei- Liter-Auto umsteigen, wird insgesamt weniger Benzin nachgefragt, der Preis für Benzin sinkt oder steigt nicht so schnell an, wie er es sonst getan hätte, und auch das ermöglicht Raum für neue Nachfrage.

Daher wird der Rebound Effekt definiert als Effizienzsteigerung, die zuerst Energie und Ressourcen einspart, aber damit die Möglichkeit schafft, dass die Nachfrage steigt und wiederum mehr Energie- und Ressourcennachfrage stattfindet. Heraus kommt eine Art Nullsummenspiel. Im besten Fall wird noch ein bisschen etwas eingespart,  im schlechtesten geht das Ganze durch die Decke und es wird sogar mehr nachgefragt als vorher.

Wie wirkt sich Digitalisierung auf diese Dynamik aus?

Die Digitalisierung aller möglichen Industrie und Lebensbereiche geht mit enormem Potenzial für Effizienzsteigerung einher. Einerseits kann Digitalisierung die Ressourcen- und Energieeinsparung erhöhen, etwa wenn Verkehrsmittel intelligent vernetzt werden oder Industrien weniger Abfall produzieren. Aber Digitalisierung erhöht auch die ‚Zeiteffizienz’: Dank PC und Smartphone können wir viele Tätigkeiten zügiger ausführen und sparen Zeit ein. Wenn man beispielsweise nicht mehr zum Geschäft fahren muss, um sich eine DVD auszuleihen, nachhause zu bringen und in den DVD-Player zu schieben, sondern einen Film sofort, sozusagen ohne Vorbereitungszeit streamen kann, wird Zeit eingespart.

Dies aber kann dazu führen, dass insgesamt mehr Medien konsumiert werden; die Einschaltquoten beim Fernsehen sind heute ungebrochen, und Internetkonsum kommt noch oben drauf. Zwar mag die Energiebilanz von Streaming versus DVD geringfügig günstiger sein. Aber weil nun insgesamt mehr konsumiert wird, gleicht sich das mehr als aus: unser Medienkonsum heute ist in Summe deutlich energieintensiver als früher.

Gehen uns durch die Digitalisierung in der Industrie die Arbeitsplätze aus?

Es gibt eine große Debatte darüber, ob die Digitalisierung im Industriebereich zu massiven Arbeitsplatzverlusten führt. Manche amerikanische Studien gehen sogar davon aus, dass in den nächsten Jahren 50 Prozent der Arbeitsplätze wegfallen könnten. Betroffen seien übrigens auch nicht nur die gering qualifizierten Arbeitsplätze, die angeblich wegfallen sollten, sondern auch die mittel qualifizierten, weil gerade intelligentere Tätigkeiten im mittleren Management, im Journalismus, bei der Projektplanung usw. zunehmend durch Automatisierung ersetzt werden können.

Was in die Berechnungen der Studien, die uns hohe Arbeitslosigkeit in Aussicht stellen, allerdings nicht einfließt ist ein Argument, das wir seit Beginn der Industrialisierung kennen. Schon die Ludditen, die ‚Maschinenstürmer’ Anfang des 19. Jahrhunderts, haben behauptet: „Die Maschinen nehmen uns die Arbeitsplätze weg.“ Aber insgesamt gab es einen Output-Wachstum der Wirtschaft, und so hat die Rationalisierung der Arbeitsplätze zugleich neue Arbeitsplätze an anderer Stelle geschaffen.

So könnte alles in allem auch die Wirkung der Digitalisierung sein. Computer haben bereits SekretärInnen ersetzt, aber es sind neue Jobs an anderer Stelle entstanden. Das ist genauso im Bereich der Industrie denkbar: Smart Factories, die 30 bis 40 Prozent Performancesteigerung bei der Arbeits-, Kapital- und möglicher Weise auch Ressourcenproduktivität realisieren sollen, schaffen eine Grundlage für neues Output-Wachstum. Denn was machen diese Firmen dann: Sie können ihre Produkte billiger anbieten und sich gegenüber Wettbewerbern besser durchsetzen, und im Ergebnis wächst die Wirtschaft. Für die Frage der Arbeitsplätze mag das eine gute Nachricht sein. Aus ökologischer Sicht hingegen werden diese Rebound-Effekte die Chancen der Digitalisierung vereiteln.

Woher nehmen wir überhaupt die Zeit, immer noch mehr zu konsumieren?

Das ist tatsächlich erstaunlich. Wir leben ja bereits im sprichwörtlichen Hamsterrad des Konsums; das von einer laufenden Beschleunigung gekennzeichnet wird, so dass immer mehr Konsum pro Zeiteinheit möglich wird. Viele Menschen kaufen Sachen, die sie niemals richtig nutzen. Zum Beispiel werden 30 bis 40 Prozent der gekauften Kleidung gar nicht oder nur sehr selten getragen. Zwar lässt sich eine große Marketing- und Werbemaschinerie laufend etwas einfallen lässt, um uns zum Kaufen zu ermuntern, aber wir können die ganzen Produkte gar nicht richtig nutzen.

Nicht nur aus ökologischen Gründen, auch für die eigene Lebenszufriedenheit wäre eine Entschleunigung des Konsums daher sinnvoll: dass man weniger kauft und das dann aber auch richtig nutzen und auskosten kann. Dass wir – wir Hartmut Rosa das nennt – uns die Dinge wieder anverwandeln können, anstatt immer mehr zu kaufen und gar nicht mehr die Zeit zu haben, sie richtig zu genießen.

Was bedeutet Digitalisierung im Hinblick auf die Umwelt?

Da muss man differenziert in die einzelnen Sektoren blicken. Was kann im Bereich Landwirtschaft (Thema „precision farming“), was kann im Bereich Energiewende (Smarte Netze), was kann im Bereich Verkehr (Smart Mobility), wirklich an Chancen realisiert werden? Und wo liegen Risiken? Beispielsweise sehe ich im Verkehrsbereich einerseits große Chancen: Hier kann eine Digitalisierung des Öffentlichen Nahverkehrs, eine smarte Vernetzung verschiedener lokaler Verkehrsmittel, vom Fahrrad über die U- und Straßenbahn bis zum Elektro-Roller etc., zu einer Komfort- und Effizienzsteigerung führen , die dann die Nutzung des privaten Autos in den Schatten stellt. Wenn mithilfe von Digitalisierung der ÖPNV über das Automobil siegt, wäre das umweltpolitisch ein Riesenerfolg.

Andererseits gibt es eine Debatte um selbstfahrende Autos, was man als Gegenmodell mit großen ökologischen Risiken betrachten kann. Aber auch so genannte „freefloating“ Carsharing-Systeme (Car2Go, Drive Now usw.) bergen Risiken. Viele NutzerInnen sagen nun: „Ich schaffe mein Auto nicht ab und nutze zusätzlich noch Carsharing, weil das wunderbar bequem ist.“ So aber könnte es noch zu einer Steigerung des Automobilverkehrs kommen. Wir müssen also ganz klar politisch steuern, um die Chancen einer intelligenten Vernetzung von öffentlichen Verkehrsträgern zu nutzen und zugleich das Auto – egal ob selbstfahrend oder nicht – zunehmend unattraktiv zu machen. Digitalisierung des Verkehrssektors alleine wird es nicht bringen. Es braucht flankierend politische Maßnahmen und einen Wechsel zu nachhaltigen Konsummustern, um die Potenziale, die in der Digitalisierung liegen, auch zu heben.

Viele Geräte werden immer kleiner, ist das nicht auch gut für die Umwelt?

Das haben wir bei Mobiltelefonen gesehen. Da galt lange: je kleiner desto besser. Aber die kleinere Geräte hatten oft einen größeren ökologische Rucksack, weil sie energie- und ressourcenintensiver hergestellt wurden. Der Trend zu immer kleineren Handys ist ja nun vorbei, es gibt stattdessen jetzt immer größere Smartphones, damit man sie als quasi-Tablet oder Computer nutzen kann.

Wo ich eher einen ökologischen Vorteil im Bereich Digitalisierung sehe ist, dass verschiedenste Funktionen mit nur einem Gerät gesteuert werden können. Noch vor wenigen Jahren hatte man eine Digitalkamera, den MP3-Player, ein Mobiltelefon und natürlich einen PC; nun ginge es nur noch mit einem Gerät, dem Smartphone. Dieser Trend könnte zum Rückgang der Summe aller elektronischen Geräte führen – wenn nicht die übliche Marketings-Maschinerie uns Konsumenten wieder neue Geräte anzudrehen versucht, von denen wir heute vielleicht noch gar nicht wissen.

Allerdings: Wenn wir eine verringerte Zahl an Geräten pro Tag immer mehr nutzen, stehen die Einsparpotenziale wieder in den Sternen. Es gibt ja kaum noch Zeiten am Tag, zu denen die Menschen nicht aufs Smartphone starren. Je potenter diese Smartphone werden, desto können wir zwar andere Geräte einsparen, können aber zugleich zu jeder Tageszeit und überall immer mehr mit ihnen machen. Unseren eigenen Konsum müssen wir also immer kritisch reflektieren. Es gibt auch Bereiche, die, wenn wir sie weiterhin analog gestalten, zu einer höheren Lebenszufriedenheit führen.

DIGITALISIERUNG: CHANCEN UND RISIKEN FÜR DIE NACHHALTIGKEIT?

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