„FRÜHER WAR ALLES SCHLECHTER!“ – KONSTRUKTIVER JOURNALISMUS

Um den Begriff „konstruktiven Journalismus“ zu verdeutlichen, gilt es vorerst auf die Ist-Situation des Informations-Journalismus zu blicken. Sehen wir von Ausnahmen ab: Ein dominantes journalistisches Merkmal ist dessen Fixierung auf Negativität, auf Krisen, Katastrophen und Kriege.

Vielfach steckt in Journalistenköpfen der Glaube, kritisch wären nur jene, die Negatives aufdecken. Das kann sehr wichtig sein: Denken wir an die „Panama-Papiere“Im ursprünglichen Wortsinn bedeutet Kritik unterscheiden, be- und verurteilen und gutheißen. Journalismus hat einen starken Hang  zur negativen Bewertung von Sachverhalten und Personen. Zweifellos liegt eine Wurzel davon im langfristig nachwirkenden universitären Einfluss der „Frankfurter Schule“.

Diese Einseitigkeit in Medienberichten hat die Publizistikforschung seit Jahrzehnten dargelegt. Ohne Erfolg: Die Praktiker der Medienwelt sahen keinen Grund, dies zu ändern. Heute ist Publizistikforschung meist sanfter und weniger medienkritisch, denn sie wurde von Drittmitteln abhängig – nicht zuletzt von Medien-Unternehmen.

Der in Oxford lehrende Ökonom Max Roser sammelt weltweit Daten und bereitet Trendberichte zu Gewalt, Hunger und Krankheit anschaulich in Graphiken auf und kommt zum Ergebnis: Die langfristigen Entwicklungen sind viel positiver als Medienberichte. Aber sie besäßen – anders als Unfälle, Morde und andere spektakuläre Ereignisse – keinen Nachrichtenwert.

Für Max Roser ist wichtig, nüchtern Entwicklungen zu dokumentieren. Die Resonanz ist überwältigend: Auf Twitter folgen ihm mehr als 50.000 Menschen. Und mittlerweile arbeitet er dem „Spiegel“ zu und gestaltet die infografische Kolumne „Früher war alles schlechter“. Selbst Magazine wie „Der Spiegel“ stehen unter wirtschaftlichem Druck, und das lässt diverse Chefs über ihr Produkt nachdenken. Oder sagen wir es ein wenig salopp: Das bringt sie etwas zur Räson, weniger provokativ zu sein.

„Warum Bad News die Medien zerstören“ ist Untertitel des Buches „Constructive News“ (Salzburg 2015). Dessen Autor, Ulrik Haagerup, ist Nachrichtenchef des dänischen Rundfunks. Er regt seine Abteilungen an, Beispiele zu suchen, wo Projekte mit positiven Auswirkungen gelungen sind, wenn etwa in Norwegen Ärzte bereit sind, in weit entlegenen Regionen ihren Beruf auszuüben. Es geht im konstruktiven Journalismus nicht darum, krampfhaft nach Positivnachrichten und „good news“ zu suchen. Auch Kritik an Situationen hat laut Haagerup weiterhin seinen Platz. Umgekehrt: Die Fülle an fast ausschließlichen Negativ-Infos macht die Menschen mutlos. Dies ist demokratiepolitisch gefährlich, so Ulrik Haagerup, und er hat mit seinem Ansatz Erfolge im dänischen Fernsehen.

Mediennutzer fänden es kaum glaubhaft, würden sie auf einem Schlag vorwiegend mit „good news“ eingedeckt. Das ist schon wegen der sozialpsychologischen Theorie von „kognitiver Dissonanz“ nicht möglich.

Schon vor einiger Zeit wunderte sich die Medienwelt über den großen Erfolg der deutschen Zeitschrift „Landlust“, die Berichte und Reportagen über die Schönheit ländlichen Lebens bringt. Einem Gutteil des Publikums ist es schon längst zu viel, ständig nur Katastrophen und Krisen vorgesetzt zu bekommen. Es gilt nur die Schlagzeilen der „Kronen Zeitung“ von Tag zu Tag zu verfolgen. Aber auch sie verliert an Publikum.

Es ist erfreulich, dass die schon seit einem Jahrzehnt langsam begonnene Praxis von konstruktivem Journalismus um sich greift. Auch wenn dieser Name, aber nicht der Sachverhalt neu ist. Siehe das Heft „Konstruktiver Journalismus. Lust auf Lösungen“, dem wir hier Anregungen entnahmen (Medienverlag Oberauer).

Gabriele Fischer, die Herausgeberin des Wirtschaftsmagazin „Brand eins“, benennt schon lange nicht nur Probleme, sondern sucht nach Lösungen. „Bei allen Fehlentwicklungen gibt es immer auch Menschen, die mit Mut und Ideen etwas dagegen tun – man muss sie nur suchen.“. Für Giovanni di Lorenzo, dem Chefredakteur des auch heute wirtschaftlich erfolgreichen Wochenblattes „Die Zeit“, gilt:

„Konstruktiver Journalismus kann nicht heißen, die Realität nur in Ausschnitten abzubilden oder gar zu beschönigen. Eine Zeitung darf aber auch nicht zu einer Ansammlung von Horrornachrichten werden. Wir versuchen, in jeder Ausgabe wenigsten einige Geschichten zu bringen, die überraschen, einen neuen Gedanken formulieren, für die Lebenswelt der Leser einen frischen Impuls setzen.“

Der Schweizer „Tages-Anzeiger“ bringt wöchentlich die Rubrik „Die Lösung“. Der Fokus auf Kriege, Krisen, Katastrophen trübt die Sicht auf positive Entwicklungen, soziale Verbesserungen, neue Ideen, Lösungen. „Auch gute Nachrichten sind Nachrichten und sie stoßen bei unseren Leserinnen und Lesern auf ebenso reges Interesse wie Schreckensmeldungen.“,so die Journalistin Judith Wittwer vom „Tages-Anzeiger“.

Nebenbei bemerkt: Auf www.medienkultur.at bringt die „Vereinigung für Medienkultur“ seit zehn Jahren Hoffnungsvolles in der Rubrik „Good News“. Gabriele Neuwirth schrieb in „Publicum“: „Der konstruktive oder lösungsorientierte Journalismus recherchiert zu den bad news Lösungsansätze. Diese Lösungen werden, wie es zur guten journalistischen Arbeit gehört, nicht bloß übernommen, sondern überprüft.“

„FRÜHER WAR ALLES SCHLECHTER!“ – KONSTRUKTIVER JOURNALISMUS

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