Eine wachsenden Stadtbevölkerung sucht nach nachhaltigen Freizeitaktivitäten. So erlebt etwa das urbane Phänomen der Gemeinschaftsgarteninitiativen ein Revival. Die Beweggründe von Gärtnerinnen und Gärtnern sind vielfältig, die Potentiale im Rahmen der Stadtentwicklung groß. Den ersten Teil zum Thema Gemeinschaftsgärten und deren positiven Einfluss finden Sie hier.
Gemeinschaftsgärten erleben seit einigen Jahren einen regelrechten Boom. Nicht nur in Österreich sondern auch in vielen anderen Ländern ist der Trend des gemeinschaftlich orientierten Gärtnerns zu beobachten. Dienten Gärten in urbanen Gebieten in Zeiten von Nahrungsmittelengpässen und Versorgungsunsicherheit primär zur Selbstversorgung, sind die Beweggründe heutzutage andere und wesentlich umfangreicher.
Im europäischen und nordamerikanischen Raum stehen oftmals Erholungs- und Gesundheitsaspekte sowie soziale Motive im Mittelpunkt des Engagements von Gemeinschaftsgärtnerinnen und -gärtnern. Demnach ist das theoretische Potential von Gemeinschaftsgärten als Beitrag zur nachhaltigen Stadtentwicklung hoch und wird seit Jahren von unterschiedlichsten Akteurinnen und Akteuren erkannt und gefördert.
Wachsende Stadtbevölkerung auf der Suche nach nachhaltigen Freizeitaktivitäten
Im Jahr 2050 wird die österreichische Bevölkerung laut Statistik Austria auf ein Ausmaß zwischen 9,1 und 9,7 Mio. anwachsen. Derzeit leben in Österreich rund 68 Prozent der Gesamtbevölkerung in urbanen Räumen. Die Tendenz ist steigend. Im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung unterliegen urbane Räume zahlreichen Herausforderungen. Dazu zählen beispielsweise steigende Temperaturen, zunehmender Ressourcenverbrauch, erhöhtes Verkehrsaufkommen, hoher Bodenverbrauch und gesundheitsschädlich auftretende Luftverschmutzung.
Neben nachhaltigen Lösungen in verschiedensten Handlungsfeldern der Stadtpolitik wie etwa Mobilität, Energieversorgung, Raumplanung oder Bauen und Wohnen erlangt auch das Angebot künftiger Freizeitaktivitäten immer höhere Bedeutung. In diesem Zusammenhang können Gemeinschaftsgärten als Element der Stadtentwicklung einen Beitrag leisten. Sie gelten mit ihren zahlreichen positiven Effekten in der Regel als umweltschonend, naturrevitalisierend, gesundheits- und erholungsfördernd sowie positiv für die soziale Kohäsion von Gesellschaften.
Gemeinschaftsgärten als urbanes Phänomen
Gemeinschaftsgärten stellen ursprünglich ein Phänomen urbaner Regionen dar. Die Bandbreite der Ausgestaltungsformen ist groß. Forscherinnen und Forscher sehen Gemeinschaftsgärten in der Regel als multifunktionale öffentlich zugängliche Freiräume, bei denen die gemeinschaftliche und ehrenamtliche Organisation sowie Freiwilligkeit und Solidarität wesentliche Bestimmungsgrößen darstellen. Neben der gemeinsamen Gartenarbeit geht es oftmals auch um die Mitgestaltung des eigenen Lebens- und Wohnumfeldes, Teilhabe in einem sozialen und gemeinschaftlichen Gefüge, Kommunikation sowie Geselligkeit im Garten.
Der Begriff Gemeinschaftsgarten (Community Gardening) versteht sich grundsätzlich als Oberbegriff für alle Formen von gemeinsam bewirtschafteten Gartenflächen. Naturgemäß gibt es unterschiedliche Gartenformen, bei denen die exakte Unterscheidung oftmals schwer fällt. Im Wesentlichen zählen dazu Nachbarschaftsgarten/BürgerInnengarten, Pädagogischer Garten/Lerngarten, Interkultureller Garten/ MigrantInnengarten, Selbsterntegarten, MieterInnengarten/BewohnerInnengarten, Mobiler Garten, Guerilla Gardening sowie Urban Farming.
Unterschiedliche Motive für gemeinschaftliche Gartenarbeit
So vielfältig wie andere gesellschaftliche Subsysteme stellen auch Gemeinschaftsgärten unterschiedliche Handlungsräume dar. Gärtnerinnen und Gärtner in europäischen sowie nordamerikanischen Städten betreiben gemeinschaftlich orientierte urbane Projekte meist aus sozialen, politischen und ökologischen Beweggründen. Dabei sind vielerorts die Gartenarbeit an sich, die Möglichkeit zur Eigenversorgung, soziale Beziehungen, selbstbestimmte Nutzung des öffentlichen Raumes, Gesundheit, Erholung, Lerneffekte, politische Aspekte, Ausgleich zum Alltag, Bewegung, Naturverbundenheit sowie Umwelt- und Naturschutz treibende Motive. Im Gegenzug dazu stehen bei Gemeinschaftsgärten in Entwicklungs- und Schwellenländern oftmals Nahrungsmittelsicherung sowie Armutsbekämpfung im Vordergrund. Die zahlreichen positiven Effekte von gemeinschaftlichem Gärtnern beleuchtet der erste Teil zum Thema Gemeinschaftsgärten.
Urbane Nahrungsmittelversorgung in Österreich und weltweit
Urbane Gärten in Kuba ab dem 16. Jahrhundert, städtische Gärten in England ab Anfang des 19. Jahrhunderts, Schrebergärten in Deutschland ab dem 19. Jahrhundert, Stadtgärten in Buenos Aires ab dem 20. Jahrhundert sowie städtische Landwirtschaft und Kleingärten in Wien zeigen exemplarisch die unterschiedlichsten Entwicklungen urbaner Nahrungsmittelversorgungssysteme.
Weltweit existieren Gemeinschaftsgärten verschiedenster Intention, Funktion, Ausgestaltung und Bedeutung. Die rund 50 Jahre andauernde Wiederentdeckung gemeinschaftlich orientierter Gartenarbeit entstand im engen Zusammenhang mit der internationalen 1968er-Bewegung. Als Vorreiterstadt gilt seit jeher New York. Damals wurden brachliegende Flächen durch gemeinschaftlich getragene Projekte revitalisiert und nutzbar gemacht und ganze Stadtteile konnten somit reaktiviert und wiederbelebt werden.
In Österreich gibt es laut Bundesministerium für ein lebenswertes Österreich (Umweltministerium) in Summe rund zwei Millionen Gärten, die jeweils unterschiedlich zu kategorisieren sind (Schrebergarten, Hausgarten, Gemeinschaftsgarten usw.). Seit einigen Jahren sind in Österreich ein gesteigertes Interesse sowie ein rasanter Anstieg der Anzahl von Gemeinschaftsgärten zu beobachten. Ursprünglich eine Erscheinung der Zivilgesellschaft, erfahren Gemeinschaftsgärten in Österreich auch eine immer stärkere Verankerung bzw. Unterstützung seitens der Politik und öffentlichen Verwaltung. In Österreich stellt der Verein „Gartenpolylog“ eine Plattform dar, um die Szene verstärkt zu vernetzen. Aktuell existieren über 80 gemeinschaftlich-orientierte Gartenprojekte in ganz Österreich – vorwiegend in urbanen Räumen.
WHO setzt auf Stadtentwicklung und gemeinschaftlich orientierte Projekte
Dem Bereich der Stadtentwicklung wird im Konzept der Gesundheitsförderung der WHO (2005) ein großer Wert beigemessen. Die Forcierung und Stärkung von Nachbarschaften und lokalen Gemeinschaften unter dem Aspekt der verstärkten Selbstbestimmung und Partizipation spielen im Rahmen der Gesundheitsförderung eine zentrale Rolle. Persönlichkeitsentwicklung, Ausbau von sozialen Fähigkeiten und die unmittelbare Mitgestaltung der eigenen Lebensumwelt werden als direkter Nutzen und als Beitrag zu einem besseren Gesundheitszustand angesehen. Gemeinschaftlich orientierte Initiativen und Projekte sowie die Ausschöpfung humaner und materieller Ressourcen dienen hierbei als Fundament zur Zielerreichung.