GEMEINWOHL – WAS IST DAS ÜBERHAUPT?

Am Samstag den 13.Februar 2016 feiert die Gemeinwohl-Ökonomie ihr fünfjähriges Bestehen. Das  von Christian Felber entwickelte Alternativmodell zu unserer derzeitigen kapitalistischen Wirtschaftsordnung hat in dieser Zeit viele Wellen geschlagen und zahlreiche Unterstützer gefunden. N21 widmet sich anlässlich einem Schwerpunkt dem Thema „Gemeinwohl“, hier zur grundlegenden Frage: was ist Gemeinwohl überhaupt?

Instinktiv scheint der Begriff schnell erklärt: Tut man etwas nicht nur um sich selbst oder einer bestimmten Gruppe zu nützen sondern der ganzen Gemeinschaft, dann tut man etwas für das Gemeinwohl. Tatsächlich definiert die deutsche Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) Gemeinwohl als „politisch-soziologische Bezeichnung für das Gemein- oder Gesamtinteresse einer Gesellschaft, das oft als Gegensatz zum Individual- oder Gruppeninteresse gesetzt wird“. Gleichzeitig weist die bpb aber auch darauf hin wie diffus der Begriff sein kann. Denn: wer definiert das Gemeinwohl und lässt sich das in einer pluralistischen Gesellschaft überhaupt bewerkstelligen? Fragen, die immer noch diskutiert werden.

Von der Antike in die bayrische Verfassung

Die Idee eines Gemeinwohls wurde auf jeden Fall schon in der Antike thematisiert. Platon, Aristoteles und Cicero theoretisieren in ihren politischen Werken über das Interesse der Gemeinschaft nach „Gemeinwohl“ und sehen es als erstrebenswert und wichtig für das Funktionieren der Polis bzw. der Republik. Jahrhunderte später legt die Verfassung des Freistaats Bayern fest,  „[der Staat] dient dem Gemeinwohl“ und sogar „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl“. Ähnliche Formulierungen finden sich aber auch im deutschen Grundgesetz und anderen modernen Verfassungen.

Im deutschsprachigen Raum verbindet man mit dem Stichwort Gemeinwohl mittlerweile wohl vor allem eines: die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ). Vor mittlerweile fünf Jahren begründete Christian Felber mit seinem gleichnamigen Buch eine Bewegung, die sich für eine alternative Wirtschaftsform einsetzt. Das grundlegende Anliegen: „Aufbruch zu einer ethischen Marktwirtschaft, deren Ziel nicht die Vermehrung von Geldkapital ist, sondern das gute Leben für alle.“ Menschenrechte und –würde sowie ökologische Verantwortung sollen auch in der Wirtschaftsweise umgesetzt werden. Eine allgemeingültige Definition von Gemeinwohl wird nicht beansprucht, sondern soll demokratisch ermittelt werden.

Werkzeuge um das Diffuse greifbar zu machen

Dabei helfen sollen die Gemeinwohl-Matrix und die Gemeinwohl-Bilanz. In der Matrix werden positive wie negative Unternehmenspraktiken mit Plus- bzw. Minuspunkten versehen. Für das Erfüllen von Indikatoren aus den Bereichen MenschenwürdeSolidaritätÖkologische NachhaltigkeitSoziale Gerechtigkeit und Demokratische Mitbestimmung & Transparenz kann jeweils eine bestimmte Anzahl an Punkten erreicht werden. Für Verstöße gegen Normen und Auflagen aber auch gesetzlich nicht erfasste Negativ-Kriterien wie geplanter Obsoleszenz oder feindlicher Übernahmen werden Punkte abgezogen. Insgesamt kann ein Unternehmen in seiner Gemeinwohl-Bilanz höchstens 1000 Punkte erreichen.

Daraus folgend bedeutet eine höhere Punkteanzahl verschiedene Vorteile. Neben der Unterstützung durch Verbraucher und Investoren durch die Transparenz des Gemeinnutzens, sollen so auch Steuervorteile, gestaffelt nach den erreichten Punkten in der Gemeinwohlbilanz, eingeführt werden. Schon heute haben einige Unternehmen diese Gemeinwohlbilanz erstellen lassen, darunter auf den ersten Blick so unterschiedliche Firmen wie der österreichische Bio-Gewürzhersteller Sonnentor, die deutsche Outdoorbekleidungsmarke Vaude oder die bayrische Sparda-Bank München.

Mit dem Projekt Bank für Gemeinwohl wagt man sich auch auf den Finanzmarkt vor. Ursprünglich entstanden aus der Idee einer „Good Bank“ im Gegensatz zur seit der Finanzkrise 2008 bekannten „Bad Bank“, will die in Gründung befindliche „ethische Alternativbank“ Kredite gemeinwohlorientiert statt gewinnorientiert vergeben.  Das Kapital der Bank stellen ihre Mitglieder: fast 3.000 Privatpersonen haben sich bis jetzt mit insgesamt über 2 Millionen Euro an der Genossenschaft beteiligt, weitere vier Millionen fehlen noch um den Bankenlizensierungsprozess bei der österreichischen Finanzmarktaufsicht (FMA) zu starten.

Viel Unterstützung – und Kritik

Die Gemeinwohl-Ökonomie hat in den letzten Jahren viele Unterstützer gefunden. Schon die erste Auflage von Felbers Buch fand 70 statt den erhofften 30-50 Erstunterzeichnern. Eine Vision wurde zu einer Bewegung, die sich über den deutschsprachigen Bereich und darüber hinaus ausbreitete. Fast 2.000 Unternehmen, tausende Privatpersonen und auch zahlreiche PolitikerInnen und Prominente unterstützen das alternative Wirtschaftsmodell mittlerweile.

Gleichzeitig mussten sich Christian Felber und seine Vision auch einiges an Kritik gefallen lassen. Bei gleichzeitiger Kritik an der aktuellen Wirtschaftsordnung, wird die GWÖ von manchen als ungeeignete, ja sogar gefährliche Alternative bewertet. So werden etwa hohe Verwaltungsaufwände bemängelt und sogar der Weg in eine Planwirtschaft mit mangelnder Demokratie und Freiheit verortet. Die GWÖ wies solche Kritikpunkte seitens der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), der Julius-Raab-Stiftung und anderer immer  zurück, auch unter dem Gesichtspunkt immer darauf bestanden zu haben, ihre Vision einem demokratischen Gestaltungsprozess zu unterwerfen.

Der Gemeinwohlatlas

Einen anderen Ansatz zum Thema Gemeinwohl verfolgt der Gemeinwohlatlas. Das Projekt des Center for Leadership and Values in Society der Universität St. Gallen listet den Gemeinwohlbeitrag großer nationaler wie internationaler Unternehmen und Organisationen in der deutschsprachigen Schweiz und Deutschland. Im Gegensatz zur GWÖ ist hier die Devise „Gemeinwohl liegt im Auge des Betrachters“ und „Fakten allein reichen nicht aus“. In einer repräsentativen Umfrage bewerteten deshalb mehrere tausend Personen große Unternehmen und Organisationen nach ihrem Beitrag zum Gemeinwohl in den Dimensionen AufgabenerfüllungZusammenhaltLebensqualität und Moral.

Man geht also in gewisser Weise diametral zur GWÖ vor: statt Unternehmen nach vergleichsweise spezifischen Kritierien und Indikatoren zu bewerten, welche in Folge dann möglicherweise die Wahrnehmung und Meinung der Konsumenten beeinflusst, erfasst der Gemeinwohlatlas, wie die Befragten den Gemeinwohlbeitrag von verschiedenen Akteuren in der Außenwahrnehmung erleben. Für die Unternehmen selbst sind wohl beide Aspekte beachtenswert.

Da der Gemeinwohlatlas auch Hilfswerke sowie Rettungs- und Pflegedienste umfasst, finden sich diese erwartungsgemäß besonders weit vorne im Ranking. In der Schweiz sind aber auch die zwei größten Einzelhandelsketten des Landes  Migros und Coop – beide genossenschaftlich organisiert – in den Top Ten vertreten, genauso wie die Schweizer Bundesbahnen (SBB). Im Vergleich dazu ist der „beste“ Einzelhändler Deutschlands dm erst auf dem 29. Platz zu finden, die Deutsche Bahn (DB) auf Platz 59 noch hinter dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) weit abgeschlagen.

In St. Gallen erkennt man aber auch an, dass Marketing und Öffentlichkeitsarbeit sicherlich keinen geringen Anteil daran haben, wie die Gemeinwohlbewertung ausfällt. Diese allein könnten ohne entsprechendes Verhalten allerdings nicht dauerhaft von der Öffentlichkeit legitimiert werden.

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