RAINBOWS: FÜR DIE SDG´S MÜSSEN VIELE KRÄFTE AN EINEM STRANG ZIEHEN

„Über den eigenen Tellerrand hinausschauen, ein bisschen globaler denken und nicht nur das eigene Süppchen kochen“, das antwortete die Sozialpädagogin Dagmar Bojdunyk-Rack bei einem Gespräch mit Evelyne Huber auf die Frage, was für die Umsetzung der SDGs ihrer Meinung nach notwendig wird. Bojdunyk-Rack ist Geschäftsführerin des Vereins RAINBOWS-Österreich. Hier lernen Kinder, Trauer aufgrund von Trennungs- und Verlusterlebnissen mitzuteilen und zu verarbeiten. Damit das Leben in einer veränderten Familiensituation positiv gestaltet werden kann. Nachfolgend lesen sie das Interview:

n21: Die nachhaltigen Entwicklungsziele sollen die Welt für unsere Kinder zukunftsfähig machen. N21 würde interessieren, wie sie die aktuelle Situation im Bereich Armut – der erste Punkt der SDGs – sehen?

Bojdunyk-Rack: Wir merken ein Stück weit die neue Armut, die bei uns in Österreich herrscht. Die Rainbows Gruppen sind so aufgebaut, dass in jeder Einheit ein bestimmtes Thema bearbeitet wird – dieses ist für Kinder oft sehr emotional und anstrengend. Daher gibt es Pausen. In diesen Pausen gibt es Knabbereien und Kuchen, um die Kinder auch körperlich wieder zu stärken. GruppenleiterInnen melden nun häufiger, dass die Kinder wirklich hungrig kommen. Auch an der Kleidung der Kinder beobachten wir beispielsweise, dass die Kinder Gummistiefel anhaben, weil sie keine anderen Schuhe haben.

Nehmen Sie die Armut bei den Kindern verstärkt wahr?

Für Eltern wird es immer schwieriger und immer weniger leistbar, ein professionelles Angebot wie uns zu bezahlen. Rainbows ist zwar günstig, eine Stunde in der Rainbows-Gruppe kostet ca. 10 EUR. Aber wenn ich eine Trennung hinter mir habe, sind 260 EUR viel Geld. Und wenn ich zwei Kinder habe, ist das dann nicht mehr leistbar. Es ist dann kein Geld mehr für eine Unterstützungsleistung wie Rainbows da. Ja, das Thema Armut ist ein Thema, welches wir in den letzten Jahren verstärkt wahrnehmen.

Was heißt das konkret für Kinder?

Für Kinder ist es wichtig, eine finanzielle Sicherheit zu spüren. Das trägt zum Wohlbefinden eines Kindes bei. Kinder brauchen eine gute Basis – auch finanziell gesehen. Kinder brauchen nicht viel Geld, aber sie haben existentielle Bedürfnisse, die abgedeckt werden müssen.

Der 16. Punkt der SDGs fordert die Förderung von friedlichen, gerechten und inklusiven Gesellschaften. Was ist dafür ihrer Meinung nach erforderlich?

Diese Inklusivität ist ein wichtiger und richtiger Ansatz. Gleichwertigkeit aller Menschen, das ist eine Aufgabe, die wir wahrnehmen müssen. Gerade auch im Sinne der betroffenen Kinder. Im Moment ist die politische Situation sehr schwierig. Der Flüchtlingsstrom kommt ja nicht von irgendwo. Diese Menschen gehen aus ihrer Heimat weg, weil ihr Leben nicht mehr sicher ist. Kleine Kinder gehen weite Strecken an der Hand oder werden getragen – mit dem Wissen, dass sie zum Teil Monate oder Jahre unterwegs sein müssen. Wenn ich mich nur ein Stück weit in die Situation versetze, frage ich mich, wie müsste meine Situation aussehen, damit ich alles zurücklassen müsste?

Ohne Frieden kann es keine nachhaltige Entwicklung geben, sagen die SDGs. Und ohne nachhaltige Entwicklung keinen Frieden. Was ist ihr Wunsch hier?

Kinder sind immer in einem Loyalitätskonflikt, wenn Eltern sich trennen. Manche mehr, manche weniger. Eltern bemühen sich sehr, für ihre Kinder gute Bedingungen zu schaffen. Kinder fühlen sich Mama oder Papa zugehörig. Mein Appell an die Eltern ist, dass die Kinder aus diesem Konflikt draussen bleiben. Kinder erleben eine Trennung so, dass sie zwischen den Eltern stehen. Wenn sie mit der Mama zusammen sind, müssen sie auf den Papa verzichten. Also nicht schüren. Sondern das Kind aktiv entlasten, damit das Kind einen inneren Frieden erfährt.

Können Kinder von der digitalen Entwicklung hier profitieren? 

Für Kinder gibt es aufgrund der Vernetzungsmöglichkeiten schon mehr Wege in Kontakt miteinander zu bleiben. Wir erarbeiten z. B. mit Eltern, wie der Kontakt des Kindes zu beiden Elternteilen erhalten bleiben kann, z.B. durch Skype. Wenn ich jemanden sehe, bleibt doch mehr übrig, als wenn ich jemanden nur am Telefon höre. Ein Stück Alltag kann damit mit dem Elternteil geteilt werden, mit dem das Kind nicht mehr zusammenlebt. Skypen kann man auch schon mit kleinen Kindern.

Der 17. Punkt der SDGs lautet Partnerschaften eingehen und Solidarität gründen. Was würden sie sich in ihrem Bereich dazu wünschen?

Die Finanzierung für NGOs wird immer schwieriger. Aktuell werden kostensteigende Regeln über uns in vielen Bereichen gelegt. Die Schere geht auseinander und es wird für uns finanziell bedrohlich, weil wir ganz schwer ausloten können, wo wir ansetzen können, um die finanzielle Basis langfristig zu sichern. So müssen z. B. die GruppenleiterInnen, die bei uns arbeiten, für 1 1/2 Stunden in der Woche angestellt werden. Die Abgaben sind für uns dadurch extrem gestiegen. Rainbows ist keine Pflichtleistung und gespart wird derzeit dort, wo es keine gesetzlichen Vorgaben gibt, die dazu verpflichten, eine Leistung zu fördern. Die Förderungen bleiben gleich, was ein Realverlust ist, wenn man die Inflation sieht. Es ist echt total schwierig.

Wie sieht es mit Spenden aus?

Die beiden Themen Trennung und Scheidung sind kein Herz- und Geldtaschenöffner. Und mit dem Thema Tod möchten sich die Menschen nicht unbedingt konfrontieren. Es ist wie Woody Allen einmal sagte: „Hoffentlich klopft der Tod an, bevor er kommt, und ich bin dann nicht da.“ Daher ist unsere Arbeit spendenmäßig nicht gut zu platzieren. Viel Aufmerksamkeit und Geld fließen aktuell auch in die dramatische Flüchtlingssituation, was wichtig ist, diese Menschen sind in Not.

Wenn man sich die Arbeit von Rainbows im Detail anschaut, tun sie aber doch sehr viel, um die Kinder zu stärken?

Die Kinder haben Trennung, Scheidung und Tod erlebt. Sie bekommen viel Unterstützung und wir machen diese sichtbar und verfügbar. Das Arbeiten mit den Kindern ist super. Die Rückmeldungen, die wir erhalten, sind gut. Das ist ein Stück weit eine Schule für das Leben. Kinder erhalten Fähigkeiten, die sie für ihre Leben mitnehmen, die sie in ihrer Resilizenz stärken. Rainbows leistet präventiv einen großen Beitrag für die Gesellschaft , damit Menschen ein erfülltes Leben führen können. Damit sie beziehungsfähig sind, arbeitsfähig sind. Das ist eine Investition in die Gesellschaft. Hier zu sagen, da investieren wird nicht, kann bei den betroffenen Kindern zu physischen und psychischen Spätfolgen führen. Diese Kosten sind dann unvergleichbar höher.

Was würden sie sich an Unterstützung und Solidarität wünschen?

Ich würde mir wünschen, dass alle NGOs, die in diesem Bereich arbeiten, ein gemeinsames Ziel vor Augen haben und gemeinsam an diesem Ziel arbeiten. Und damit für Kinder Bedingungen geschaffen werden können, unter denen sie ihr Potential ausschöpfen können. Um all das zu haben, was sie brauchen, aber auch um ihnen alle Chancen zu geben, die notwendig sind. Da sind wir wieder bei dem Thema der Inklusion: Es müssen die Zugänge für alle möglich und offen sein. Und das ist nur umsetzbar, wenn viele Kräfte an einem Strang ziehen.

Dazu muss sich aber etwas ändern?

Die Chancen etwas zu tun, sehe ich von unserer Seite aktuell beschränkt. Wir müssten das breiter über Kanäle streuen, aber so einen Einfluss haben wir leider nicht. Das geht nur im Zusammenschluss von vielen. Es müssten Plattformen geschaffen werden, wo diese Zusammenschlüsse auch eine formale Basis gewinnen. Und wir müssten über den eigenen Tellerrand hinausschauen, ein bisschen globaler denken und nicht nur das eigene Süppchen kochen.

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