SO SEHEN BILDUNGSREFORMEN AUS

Nun ist sie also doch noch pünktlich auf die Welt gekommen, die für den 17.11.15 angekündigte Bildungsreform. Der Geburtsvorgang setzte am späten Nachmittag des gestrigen Tages ein und dauerte bis in die frühen Morgenstunden. Überraschend angespannt präsentierten Bildungsministerin Heinisch-Hosek (SPÖ) und Wissenschafts-Staatssekretär Harald Mahrer (ÖVP) die Ergebnisse der Bildungsreformkommission im Rahmen einer Pressekonferenz. Stolze Eltern schauen anders aus.

Insgesamt sechs Pakete hat man in Verhandlerkreisen geschnürt, um die “größte Veränderung im österreichischen Bildungssystem seit 50 Jahren” (Heinisch-Hosek) zu ermöglichen und die “Kinder in den Mittelpunkt zu stellen, um die beste Bildung für jedes Kind zu garantieren” (Mahrer).

  • Im Elementarpädagogik-Paket wurde die Stärkung des Kindergartens als Bildungseinrichtung festgemacht. Es soll ein einheitlicher bundesweiter Bildungskompass – analog zum Mutter-Kind-Pass – eingeführt werden, mit dessen Hilfe Kinder ab dreieinhalb Jahren regelmäßig einem Sprach- und Entwicklungsscreening unterzogen werden. Diese Dokumentation mittels Portfoliosystem soll dem Kind in jede neue Einrichtung bis zum Ende der Schullaufbahn folgen. Weiters werden ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr und die Entwicklung bundesweit einheitlicher Mindest-Qualitätsstandards für Kindergärten eingeführt. Die Ausbildung der PädagogInnen wird nicht auf universitäres Niveau angehoben. Dies ist nur für LeiterInnen solcher Einrichtung angedacht. Die Bildungsanstalten für Kindergartenpädagogik werden in Berufsbildende Höhere Schulen umgewandelt. Auch für AssistentInnen und HelferInnen sollen einheitliche Ausbildungsrichtlinien kommen. Staatssekretär Mahrer betonte in diesem Zusammenhang die Bedeutung von “staatlichem Investment” in diesem Bereich, weil es wesentlich besser sei, “Kinder so früh wie möglich zu fördern, statt nachher zu reparieren”.
  • Im Schuleingangsphase- und Volksschulpaket plant man, das verpflichtende Kindergartenjahr und die ersten beiden Grundschuljahre zu einer gemeinsamen Schuleingangsphase zusammenzufassen. Damit entfällt die bisher verpflichtende Schulreifeüberprüfung. Die Kooperation von Kindergarten- und VolksschulpädagogInnen soll flächendeckend ausgebaut werden, die Volksschullehrpläne verstärkt auf die Vermittlung von Grundkompetenzen und die Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen abgestimmt werden. Verbindliche Sprachstartkurse sollen jene unterstützen, die die Unterrichtssprache Deutsch nicht ausreichend beherrschen.
  • Das “Modell-Region-Paket Schule der 6- bis 14-jährigen” legt de facto fest, dass es in den nächsten 10 Jahren keine flächendeckende gemeinsame Schule dieser Altersgruppe geben wird. Erstmals dürfen aber bis zu 15 % aller Standorte einer Schulart eines Bundeslandes sowie maximal 15 % der SchülerInnen der jeweiligen Schulart im Rahmen einer Modellregion die gemeinsame Schule ausprobieren. Heinisch-Hosek sprach in diesem Zusammenhang von einem “großen Wurf”, der 2025 evaluiert werden soll und von dem sie heute schon “annimmt, dass er ein Erfolgsmodell sein wird”. Mahrer betonte die “Rettung des Gymnasiums” als Teil eines differenzierten Schulsystems, das sich an den Fähigkeiten der SchülerInnen orientiert.
  • Das Autonomiepaket bietet, wie Bundesministerin Heinisch-Hosek hervorhob, SchulleiterInnen die Möglichkeit bei der LehrerInnen-Bestellung an ihrem Standort mitzureden und auch “Nein” zu sagen. Die Gestaltung von Lerngruppen, also eine Flexibilisierung der Klassenbildung, nach pädagogischen Zielsetzungen, soll ermöglicht werden, ebenso die schulautonome Schwerpunktsetzung, die Abweichungen vom Lehrplan von bis zu einem Drittel erlaubt. Schulcluster werden als neue “Verwaltungseinheiten” installiert. Diese haben die Aufgabe, ein Schulkonzept und einen jährlichen pädagogischen Qualitätsbericht zu erstellen. De facto können so Schulstandorte zusammengelegt und LeiterInnen-Positionen eingespart werden. Auch die Stundenplanung soll flexibilisiert werden, die Öffnungszeiten des Schulstandortes bedarfsorientiert von 7-18 h möglich sein. Außerdem ist eine finanzielle Autonomie in Form eines Globalbudgets für den Sachaufwand angedacht. Zur Evaluation erstellt die Schule in Zusammenarbeit mit der Schulaufsicht einen jährlichen standortbezogenen Qualitätsbericht. Ein nationaler Schulqualitätsbericht mit einer Zusammenfassung dieser schulischen Qualitätsberichte soll alle drei Jahre durch das Bildungsministerium an das Parlament erfolgen.
  • Im Schulorganisations-Paket wurden die bereits vielzitierten Bildungsdirektionen aus der Taufe gehoben. Diese werden als “gemeinsame Bund- Länderbehörde“ eingerichtet. An ihrer Spitze steht ein/e Bildungsdirektor/in, der/die als Bundesbedienstete/r auf Vorschlag des Landeshauptmannes oder der Landeshauptfrau von der Bildungsministerin bzw. dem Bildungsminister ernannt wird. Sie werden die Dienst- sowie Fachaufsicht  über alle Bediensteten der Bildungsdirektion ausüben und  nach einem objektivierten Auswahlverfahren auf 5 Jahre bestellt. Mahrer lobte die dadurch umgesetzte langjährige Forderung nach einer “Entpolitisierung” des Schulsystems. Die Funktion der amtsführenden PräsidentInnen, der VizepräsidentInnen und das gesamte parteipolitisch besetzte Kollegium werden damit abgeschafft.
  • Das Bildungsinnovationspaket beinhaltet die flächendeckende Einführung von High-Speed-Internet an allen Schulstandorten bis 2020 und die Einrichtung einer Bildungsstiftung für eine “progressive Weiterentwicklung der (Kindergarten- und) Schulpädagogik sowie Begabten- Begabungsförderung”. Wie Heinisch-Hosek festhielt, sollen die über diese Stiftung ausgeschütteten Mittel die Möglichkeit bieten, auf wichtige neue Entwicklungen und Chancen zu reagieren, wie z.B. Lernen mit neuen Medien/Digitalisierung, aber auch auf Herausforderungen wie Hochbegabtenförderung und Chancengerechtigkeit. Mit der Stiftung, so Mahrer, solle das “Bildungsniveau durch kompetitive Förderung von innovativen Bildungs- und Schul(forschungs)projekten” angehoben werden. Diese Stiftung solle wie die Nationalstiftung für Forschung, Technologie und Entwicklung durch die beiden zuständigen Ministerien aufgesetzt und aus Bundesmitteln finanziert werden. Öffentliche Körperschaften und private Spender haben die Möglichkeit, finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die nun entworfene Bildungsreform sollen bis Ende Juni 2016 geschaffen werden, damit im Schuljahr 2016/17 bereits die neue Form der Schuleingangsphase sowie die schulrechtlichen Freiräume für Schulstandorte starten können. Im August 2016 sollen die Bildungsdirektionen ihre Arbeit aufnehmen. Die veränderte Ausbildung von KindergartenpädagogInnen soll im Schuljahr 2017/18 starten und die Umsetzung von Schulclustern ab sofort bis 2025 in einem Stufenplan erfolgen.

Die Kommentare der Parteien zum präsentierten Reformpapier verlaufen wie ewartet entlang der Linie ziwschen Regierung und Opposition. Landeshauptmann Platter, ÖVP ließ verlauten, dass ein großer Wurf gelungen sei, ebenso SPÖ-Bildungssprecherin Grossmann, die einen “Riesen-Schritt nach vorne” ortet.

Die ÖGB und Arbeiterkammer begrüßten diese Pläne als einen “Schritt in die richtige Richtung”, während der Präsident der Industriellenvereinigung Kapsch betonte, dass die “Regierung den Reformweg auch 2016 mit einem sachorientierten, parteiübergreifenden Prozess unter Beteiligung aller Stakeholder” weitergehen müsse. “Nach der Bildungsreform ist also vor der Bildungsreform“, so Kapsch.

Für Eva Glawischnig und Harald Walser von den Grünen ist die Bildungsreform “deutlich verbesserungsbedürftig”. Sie schlagen ein baldiges Gespräch mit Kanzler und Vizekanzler vor, “um die entsprechenden Verbesserungen zu verhandeln”. Für den Beschluss der Materie ist eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat notwendig, die die Regierungsparteien alleine nicht aufbringen. Für Robert Lugar vom Team Stronach hat Heinisch-Hosek “gegen die Länder den Kürzeren gezogen”. Für Walter Rosenkranz, FPÖ ist die “Bildungsreform-Einigung ein Sammelsurium an Überschriften und Scheinaktivitäten ohne Substanz”. Die NEOS werden am 18.11.15 in einer eigenen Pressekonferenz Stellung nehmen.

Kritisch betrachten die Ergebnisse nicht nur Thomas Bulant, der FSG-Vorsitzende der Gewerkschaft der PflichtschullehrerInnen, der ein “echt nächtliches Ergebnis” mit vielen offenen Fragen sieht, sondern auch die VSStÖ in der ÖH, die genau wie die Aktion Kritische SchülerInnen eine Bildungsrevolution fordert, und die Bundesjugendvertretung, die weitergehende Veränderungen des Bildungssystems erwartet.

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