Citizen Science-Projekte erhalten in Deutschland erstmals eine öffentliche Förderung. Aber die Bewegung ist noch unpolitisch
Citizen Science, die Beteiligung der Bürger an der wissenschaftlichen Forschung, kommt in Deutschland voran. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in Berlin hatte im vorigen Jahr erstmals ein Förderprogramm in Höhe von zunächst vier, dann aufgestockt auf knapp fünf Millionen Euro ausgeschrieben, das auf ein über Erwarten großes Interesse traf: mehr als 300 Anträge gingen bis Anfang 2017 ein, weshalb die Auswertung länger als geplant dauerte. In diesem Monat Juli nun wurden die 13 siegreichen Projekte bekannt gegeben, bei denen Laienwissenschaftler mit Universitäten und Forschungsinstituten zusammenarbeiten. Die Bandbreite der Themen reicht vom Bienensterben und Schadstoffmessung über Mikroplastik bis hin zu Urban Farming und einer neuen Reparaturkultur.
„Bei der Auswahl war es uns wichtig, eine Vielzahl unterschiedlicher Fragestellungen und Beteiligungsmöglichkeiten zu berücksichtigen“, sagte Wilhelm Krull, Generalsekretär der Volkswagenstiftung als Vorsitzender der Jury. So sind Vorhaben aus den Sozialwissenschaften, dem Natur- und Umweltschutz sowie dem Gesundheitsbereich und aus der Do-it-Yourself-Bewegung vertreten.
Das neunköpfige Auswahlgremium setzte sich so zusammen: Dr. Wilhelm Krull, Generalsekretär der VolkswagenStiftung (Vorsitz), Markus Beckedahl, Journalist netzpolitik.org, Prof. Dr. Andréa Belliger, Leiterin Institut für Kommunikation & Führung IKF, Dr. Leonhard Hennen, wissenschaftlicher Mitarbeiter Forschungsbereich Wissensgesellschaft und Wissenspolitik am Karlsruher Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS), Dr. Ansgar Klein, Geschäftsführer des Bundesnetzwerkes Bürgerschaftliches Engagement, Dr. Sibylle Meyer, Leiterin der SIBIS GmbH – Institut für Sozialforschung und Projektberatung, Dr. Christian Smoliner, Abteilungsleiter Dialog- Wissenschaft-Gesellschaft im österreichischen Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW), Dr. Benno Pilardeaux, Leiter Kommunikation des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WGBU), Dr. Eick von Ruschkowski, Direktor der Alfred Töpfer Akademie für Naturschutz.
Clusterkopfschmerzen aufklären
Jedes Projekt – die meisten starten am 1. September – erhält für die Dauer von zwei bis drei Jahren eine Förderung von 300.000 bis 500.000 Euro. Im Kern steht jeweils eine wissenschaftliche Fragestellung, zu deren Beantwortung die Bürger einen zentralen Beitrag leisten sollen. So sollen mit dem Projekt „Clusterkopfschmerz“ an der Hochschule für angewandte Wissenschaften im bayerischen Hof neue Erkenntnisse über eine der schlimmsten Migräneformen gewonnen werden.
„Indem die Betroffenen kontinuierlich ihre Anfälle auf einer Web-Plattform melden und sich aktiv an der Auswertung der Daten beteiligen, soll ein ausführliches Bild über die bislang nur wenig erforschten Clusterkopfschmerzen entstehen“, eklärt Projektleiter Jörg Scheidt, Informatikprofessor an der Hofer Hochschule, die dazu mit der Migräneklinik Königstein zusammenarbeitet. Mit der erhöhten Zahl von Meldungen aus der Bevölkerung will man herausfinden, was die wichtigsten Auslösefaktoren für den Clusterkopfschmerz sind. Das Projekt knüpft an die Erfahrungen des „Migräne-Radars“ an, das an der Hochschule Hof in den letzten Jahren entwickelt und erprobt worden war.
Den Gesang der Nachtigall will das Tierstimmenarchiv am Berliner Museum für Naturkunde mit Bürgerhilfe untersuchen. Die privaten Vogelliebhaber zeichnen den Gesang der Nachtigall, wo sie ihn hören, mit ihrem Smartphone auf und senden die Datenaufnahme per App an das Museum. „Uns interessiert, welche Dialekte es gibt und wie die Vögel in den Städten verbreitet sind“, sagt der Leiter es Archivs, Karl-Heinz Frommholz. Derzeit laufen die technischen Vorbereitungen; die Vogelfreunde sollen erst zum Jahresbeginn angesprochen werden, da die Nachtigall nur in wenigen Frühjahrswochen tirilliert.
Graswurzel-Initiativen an die Forschung heranführen
In Halle an der Saale soll die zivilgesellschaftliche „Maker- und Lab-Bewegung“ mit der Wissenschaft verbunden werden. „Wir wollen vier Innovations-Labore zu Forschungsfragen aus den Bereichen Sensorik, virtuelle Realität und Nachhaltigkeitskommunikation einrichten“, erläutert Ilka Bickmann vom Verein „science2public“.
In Zusammenarbeit mit einem Fraunhofer-Institut sollen etwa Sensoren für die Messung von Feinstaubkonzentrationen konfiguriert werden. „Damit können Bürger flächendeckend die Umweltsituation in der Stadt erfassen“, erklärt Bickmann. „Mit diesen Laboren wollen wir zivilgesellschaftliche Graswurzelbewegungen unterstützen“.
Ein vergleichbares Projekt startet jetzt an der TU Berlin: „Bürgerbeteiligung bei der Erstellung einer Landkarte ruhiger Orte“. Die „Hush City App“ soll Daten sammeln und ruhige Zonen in der Stadt für alle identifizieren:
Weitere geförderte Projekte sind:
Verbundprojekt | Artenvielfalt erleben – Wie Naturforschung vor der eigenen Haustür von interaktiven Webkarten profitiert, Leibniz Institut für Länderkunde (Verbundkoordination)
Naturbegeisterte Bürger sammeln Tag für Tag wertvolle Informationen über unsere heimischen Tier- und Pflanzenbestände. Damit sie ihre Beobachtungen künftig hürdenfrei der Wissenschaft zur Verfügung stellen können, arbeiten Forscherinnen und Forscher des Leibniz-Instituts für Länderkunde und des Leibniz-Instituts für Wissensmedien gemeinsam mit dem Dachverband Deutscher Avifaunisten an einer neuen Generation interaktiver Online-Karten für das Webportal ornitho.de. Ziel ist, noch mehr Menschen für die Erfassung der Artenvielfalt zu begeistern. Die neuen Webkarten sollen die Eingabe von Daten erleichtern und ihre Darstellung und Weiterverarbeitung verbessern. Zudem wird es möglich sein, die von Laienwissenschaftlern eingespeisten Beobachtungen regional auszuwerten.
Bee Observer – BOB: Risiken und Gefahren für Honigbienen erkennen und reduzieren, Universität Bremen
Bienen sterben weltweit in bisher nie dagewesenem Ausmaß. Dabei sind die Insekten für den Erhalt des Ökosystems von zentraler Bedeutung. Von einer abnehmenden Bestäubung von Nutzpflanzen durch Honigbienen wäre zudem die Nahrungsmittelproduktion betroffen. Das Projekt Bee Observer der Universität Bremen wird gemeinsam mit der Berliner Maker-Gruppe Hiveeyes sowie Imkerinnen und Imkern deutschlandweit Bienenstöcke mit Sensortechnik ausstatten, um Daten über den Zustand von Bienenvölkern aufzuzeichnen. Mit Hilfe der Daten sollen Strategien für die Rettung der Bienen entwickelt werden.
Dazu erschien dieser Bericht im Weser-Kurier, Bremen: „Zum Wohl der Bienen – Berlin fördert „Bee Observer“-Vorhaben der Universität Bremen“, Marie Steinhoff, 19.07.2017
Verbundprojekt | CitizenSensor – Umweltanalytik für Jedermann, Fraunhofer EMFT (Verbundkoordination)
Die Wasser- und Luftqualität vor der eigenen Haustür und die Bodenqualität in heimischen Gärten lassen sich bislang nur mit einigem technischen Aufwand messen. Um dies zu ändern, sollen im Forschungsprojekt der Fraunhofer-Einrichtung für Mikrosysteme und Festkörper-Technologien (EMFT) zusammen mit Bürgerwissenschaftlerinnen aus der Maker-Szene Messmöglichkeiten mit einer digitalen Schnittstelle entwickelt, getestet und evaluiert werden. Mit der Technik sollen sich Umweltparameter schnell und einfach erfassen lassen.
Landinventur: Ein sozialwissenschaftliches Citizen Science Projekt zur kollektiven Raumbeobachtung, Thünen Institut für Regionalentwicklung
Auf der Suche nach einem guten Leben zieht es viele Menschen von der Stadt auf das Land. Die Wissenschaft hat noch längst nicht alle Aspekte des Landlebens untersucht. Deshalb wird das Thünen-Institut für Regionalentwicklung zusammen mit Bürgerwissenschaftlern eine Web-Plattform entwickeln, die Daten zum Landleben sammelt. Dadurch entsteht eine alternative Landkarte des gesellschaftlichen Lebens auf dem Land.
Citizen Lab für Mikroplastik, Universität Marburg
Die Belastung der Umwelt durch Mikroplastik ist ein globales Problem. Mit dem Citizen Lab für Mikroplastik an der Universität Marburg wird eine Infrastruktur geschaffen, die es Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht, Analysen zur Plastikbelastung von Sedimenten zu erstellen. Von der Entnahme der Proben, der statistischen Erfassung, der Mikroskopie bis hin zur Organisation und Pflege einer öffentlich zugänglichen Datenbank sollen alle Arbeitsschritte gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern in Angriff genommen werden.
Hear how you like to hear – Selbstbestimmtes Hören für Menschen mit und ohne Hörbeinträchtigung, Fraunhofer IDMT
Obwohl mehr als die Hälfte der Bevölkerung über 65 Jahren von Hörbeeinträchtigungen betroffen ist, greifen nur ein Viertel der Menschen zu Hörgeräten. In interdisziplinären Teams aus Bürgerinnen und Bürgern, Wissenschaftlern, Künstlern und Makern soll in dem Forschungsprojekt des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medientechnologie IDMT erforscht werden, wie Hörhilfen für selbstbestimmtes Hören aussehen, sich anhören und anfühlen sollten, damit sie in Alltagssituationen schwerhörigen Menschen optimal helfen.
Verbundprojekt | Patient Science zur Erforschung Seltener Erkrankungen – eine bürgerwissenschaftliche Studie am Beispiel der Mukoviszidose, Fraunhofer ISI (Verbundkoordination)
Mehr als vier Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer seltenen Erkrankung. Dazu zählt auch die Mukoviszidose. In Deutschland sind rund 8.000 Menschen von ihr betroffen, jedes Jahr kommen rund 200 Kinder mit der Krankheit auf die Welt. Im Rahmen der patientenwissenschaftlichen Studie wird das Fraunhofer Institut für System und Innovationsforschung gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Frankfurt an Lösungen zum Umgang mit der Krankheit im Alltag arbeiten. Patienten und ihre Angehörigen sind während des Forschungsprozesses aktiv einbezogen: Sie bestimmen das Forschungsdesign mit und spielen auch bei der Durchführung und Auswertung der Studie eine tragende Rolle.
Verbundprojekt | Repara(kul)tur – Alltagsweltliche Realisierung und gesellschaftliche Verbreitung von Praktiken des Reparierens und Selbermachens, Verbundkoordination: TU Berlin, Zentrum Technik und Gesellschaft (Verbundkoordination)
Die Herstellung vieler Produkte sowie heutige Konsummuster sind mit hohen sozialen und ökologischen Kosten verbunden. Ressourcen könnten eingespart, Abfall vermieden werden. Das Zentrum Technik und Gesellschaft an der Technischen Universität Berlin will zusammen mit Akteuren aus der Repair- und Do-it-yourself Bewegung der Frage nachgehen, wie soziale Praktiken des Reparierens und Selbermachens erfolgreich angeeignet und im Alltag der Menschen integriert werden können. Ziel des Projektes ist, hierfür den Wissenstransfer zu stärken und Strategien zu entwickeln, die Kultur des Reparierens insgesamt zu stärken.
Verbundprojekt | Städtische Agrikultur: gemeinsam innovativ entwickeln – nachhaltige Integration und Vernetzung von Nahrungsmittelkleinproduktionen, Fraunhofer UMSICHT (Verbundkoordination)
Die Versorgung in Städten und Kommunen wird vielerorts bereits durch lokale Aktivitäten unterstützt: vom Balkongarten bis zur Stadtfarm, von mobilen Gärten bis zur Aquaponikanlage. Betrieben werden sie meist von engagierten Bürgern. Fraunhofer UMSICHT und der Wissenschaftsladen Bonn wollen gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern Technologien und Produktionsanlagen zugänglicher gestalten und Strategien für eine bessere Nahrungsmittelproduktion in der Stadt erarbeiten. Dazu werden in zwei Erntefolgen am Standort Oberhausen und Bonn Obst, Gemüse und andere Nahrungsmittel erzeugt und unter ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Aspekten betrachtet.
Verbundprojekt | Transformationsstadt: Bürger forschen für ein Gutes Leben, Verbundkoordination: Universität Wuppertal (Verbundkoordination)
Wie sieht das gute Leben in der Stadt und im Quartier aus? Wie können Bürgerinnen und Bürger erfassen, was lokaler Wohlstand für sie bedeutet? Transformationsstadt, eine Initiative aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft in Wuppertal, möchte gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern ein benutzerfreundliches, offenes Datensystem entwickeln. Ziel ist es, die lokale Lebensqualität in Quartieren systematisch zu erfassen. Dadurch soll ein Bild entstehen, wie sich Quartiere entwickeln und welche Anforderungen bei der Stadtplanung zu berücksichtigen sind. Das Datenportal kann bundesweit von Städten und Quartieren genutzt werden und soll Bürgerinnen und Bürgern selbst ermöglichen, Stadtforschung zu betreiben.
Eine Zusammenkunft von rund 24 Projekten fand am 13. Juli beim Projektträger DLR in Berlin statt, einen Tag vor der Bekanntgabe der 13 Gewinner-Projekte.
Bürgerwissenschaft wird zum eigenen Forschungsfeld
Die Entstehung der neuen Citizen Science-Bewegung in Deutschland hat Katrin Vohland vom Museum für Naturkunde und zugleich im Vorstand der Europäischen Vereinigung der Bürgerforscher (ECSA) von Anfang an begleitet. „Das Thema entwickelt sich immer differenzierter“, stellt sie fest. Inzwischen ist Citizen Science selbst zu einem Forschungsgegenstand geworden, zu dem ein eigenes Wissenschaftsjournal gegründet wurde und Fachaufsätze in wachsender Zahl erscheinen.
Die wichtigsten Etappen in Deutschland waren bisher die Etablierung einer Internet-Plattform „Bürger schaffen Wissen“, das die bisherigen Citizen Science-Projekte (mit rund 500.000 Aktiven in Deutschland) versammelte und die Formulierung einer bundesweiten Strategie in einem offenen Beteiligungsprozess. „Was in der Strategie normativ vorgedacht wurde, kommt jetzt in die Umsetzung“, beschreibt Vohland die nächste Etappe des Förderprogramms mit Projekten der Bürgerforschung, die es bisher noch nicht gab. Einen wachsenden Anteil haben auch die Sozial- und Geisteswissenschaften.
Aus diesen Projekten seien auch weitere Erkenntnisse zu erwarten, wo es sinnvoll ist, die Laien an der Wissenschaft zu beteiligen, und wie sich Zielkonflikte zwischen den beiden Welten umgehen lassen. Als kommenden Trend sieht Vohland die Verknüpfung der Bürgerforschung mit dem Bildungsbereich. Der praktische Umgang mit wissenschaftlichen Fragestellungen ermöglicht ein anderes und nachhaltigeres Lernen, besonders in den naturwissenschaftlichen MINT-Fächern. Allerdings stellt die Integration in den schulischen Lehrplan eine Aufgabe dar, die noch zu lösen ist. Das deutsche Umweltministerium beginnt demnächst mit einer Untersuchung über die Potenziale von Citizen Science in der Umweltbildung.
Problematische Schieflage
Hinter dem Erfolg der Citizen Science-Bewegung schimmert allerdings auch eine problematische Schieflage durch. Die jetzige Struktur ist durch Vorleistungen des Wissenschaftssystems entstanden (Helmholtz- und Leibniz-Forschungsgesellschaften, Forschungsministerium). Was fehlt, ist eine gleiche Dynamik auf Seiten der Zivilgesellschaft, insbesondere unter den organisierten Verbänden, etwa im Umweltbereich. Der letzte Anlauf in dieser Richtung, die „Zivilgesellschaftliche Plattform Forschungswende“, hat sich aus der Diskussion über wissenschaftspolitische Alternativen zurückgezogen und beschränkt sich auf Bildungs- und Partizipationsprojekte.
Die wachsende Dominanz des herrschenden Wissenschaftssystems im Citizen-Science-Bereich lässt den Spielraum für grundsätzliche Erörterungen über ein anderes Forschen eher schrumpfen. Bundesforschungsministerin Johanna Wanka hat wiederholt signalisiert, dass für sie hier eine Grenze verläuft: Bürgerbeteiligung an der praktischen Forschung ja, aber keine Partizipation an der Richtungsentscheidung. Diese politische Debatte steht der Citizen Science-Bewegung in den kommenden Jahren noch bevor.
Haus der Wissenschaft in Bielefeld – eine Heimstatt der Bürgerforscher?
Peter Finke, Autor des ersten Buchs über Citizen Science in Deutschland, hat sich aktuell zur Bürgerbeteiligung in der Wissenschaft am Beispiel seiner Heimatstadt Bielefeld. Hier soll von kommunaler Seite ein „Haus der Wissenschaft“ eingerichtet werden. Das Vorhaben eben steht aber aus Sicht Finkes in der Gefahr lediglich Werbung für Bielefelder Wissenschaftseinrichtungen zu machen, ohne zu einer neuen Kultur der Bürgerpartizipation zu gelangen. „Es wurde schlichtweg versäumt, die kreativen Wissens- und Handlungspotenziale, die auch in der vielseitigen hiesigen Stadtgesellschaft reichlich schlummern, an die erste Stelle zu rücken. Die Bürger nicht von Anbeginn einzubeziehen, um eine attraktive neue Identität zu schaffen, ist ein Fehler“, kritisierte Finke im Gespräch mit der Lokalpresse.
Wenn das Bielefelder Projekt zu einem „Ort einer lebendigen Wissenschaft“ werden solle, dann dürfe es nicht „ein hauptsächlich von Berufswissenschaftlern bespieltes Haus“ sein, sondern ein Treffpunkt, so Peter Finke, an dem „man das selbstbestimmte kreative Lernen, Forschen, Wissen und Schaffen vieler Bürgerinnen und Bürger ernst nimmt und bewusst in den Mittelpunkt stellt.“
Projekt „Wildkatzensprung“: Ergebnisse und Schutzerfolge seit 2011
Weitere Events zur Bürgerforschung stehen bevor. In der kommenden Woche findet eines der größten Naturschutz- und Citizen-Science-Projekte Europas findet seinen Abschluss: Seit 2011 arbeitetet der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) zusammen mit der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN) und über 1200 Freiwilligen daran, den Lebensraum der Wildkatze und ihre Wanderungsbewegungen mittels Haarproben zu untersuchen und zu schützen. Herausgekommen ist neben einer Erholung der Wildkatzenbestände auch eine weltweit einzigartige und für den Natur- und Artenschutz Deutschlands wegweisende Gen-Datenbank über Wildkatzen.
Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), das Bundesamt für Naturschutz (BfN) und der BUND präsentieren am 1. August auf einer Pressekonferenz in Berlin gemeinsam mit der SGN die Ergebnisse der Gen-Analysen, die Schutzerfolge sowie Resultate der umfangreichen Freiwilligen-Einbindung. Das BfN fördert das BUND-Projekt „Wildkatzensprung“ im Rahmen des Bundesprogramms Biologische Vielfalt mit Mitteln des BMUB.
Citizen-Science-Community trifft sich im September
Beim Forum Citizen Science trifft sich am 22. September 2017 in Berlin die deutsche Citizen-Science-Community. Die Teilnehmenden, u.a. aus Gesellschaft, Wissenschaft und Politik, diskutieren über die Zukunft der Bürgerforschung, tauschen praktische Erfahrungen aus und entwickeln Ideen für gemeinsame Zusammenarbeit. In den letzten Jahren hat sich die deutsche Citizen-Science-Community auch über disziplinäre Grenzen hinweg vernetzt.
Das Forum Citizen Science will diesen Prozess weiter unterstützen und den Akteurinnen und Akteuren aus den verschiedenen Projekten eine Plattform bieten, sich kennen zu lernen, untereinander auszutauschen und aktuelle oder kritische Fragen rund um die Bürgerforschung zu diskutieren. Das Forum Citizen Science wird organisiert vom Museum für Naturkunde Berlin, Wissenschaft im Dialog und dem Botanischen Garten und Botanischen Museum Berlin-Dahlem.
Citizen Science in Österreich
Mit dem Aufbau einer öffentlichen Förderung der Bürgerforschung ist Österreich weiter vorangeschritten als Deutschland. Vor zwei Jahren wurde unter Federführung des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) die „Allianz für Responsible Science“ gegründet, an der sich mittlerweile 38 Partnerinstitutionen aus Wissenschaft, Forschung, Bildung und Praxis zur Weiterentwicklung aktiver Bürger/innenbeteiligung beteiligt haben. Am 22. Juni 2017 diskutierten Allianzpartner/innen mit Expert/innen im Rahmen einer Festveranstaltung an der TU Wien Ansätze und Erfahrungswerte von Responsible Science, spannende Beispielprojekte machten das Konzept greifbar. Das BMWFW gab einen ersten Ausblick auf die strategische Ausrichtung einer neuen geplanten Fördermaßnahme. Weitere Informationen dazu enthält die Presseaussendung des Ministeriums.
Die erste Förderinitiative, die in Österreich gezielt Citizen Science-Projekte anspricht, trägt den Namen „Top Citizen Science“. Die von BMWFW, FWF und OeAD getragene Initiative wurde 2015 ins Leben gerufen. Sie dient der Finanzierung von Erweiterungsprojekten zu bestehenden FWF-bzw. Sparkling-Science-Projekten (je 250.000 Euro), der dritte Call soll im Herbst 2017 starten. Ziel der Initiative ist die Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern und die Nutzung ihres Wissens, ihrer Ressourcen und ihres Engagements für wissenschaftliche Forschung und wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. Bisher konnten insgesamt 24 Top Citizen Science-Projekte gefördert werden.
Eines davon ist CODE IT!, das vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien unter der Leitung von Dr. Katharina T. Paul durchgeführt wird und im Rahmen der Festveranstaltung auch präsentiert wurde. Im Projekt nehmen Wissenschaftler/innen die Debatte zur Einführung der Impfung gegen sexuell übertragbare Humane Papilloma Viren (HPV) – deren Medienverbreitung, die Informationspolitik, den Diskurs – und somit auch die heimische Impfpolitik – unter Einbeziehung von Open-Science-Methoden politikwissenschaftlich unter die Lupe. Rund 100 interessierte Bürger/innen helfen ihnen dabei: Sie analysieren und interpretieren Pressemeldungen und bringen ihre eigenen Ideen ein. Das gesammelte Wissen steht allen Bürger/innen offen. Schüler/innen können die Daten beispielsweise für vorwissenschaftliche Arbeiten nutzen. Forscher/innen steht der Quellcode – die Basis der Forschungen – für andere Forschungsprojekte zur Verfügung.