Eine Buchbsprechung von Claus Reitan zu „Rethink Economy“ von Fred Luks (Hrsg.)
Es ist ein weiterer Schritt auf einem langen Weg. Die Wissenschaft von der Wirtschaft hat noch ein Stück Weges zu gehen, ehe sie als Ganzes – sofern erwünscht und erforderlich – bei den Inhalten und Leitlinien der Nachhaltigkeitswissenschaften angekommen ist. Einige der begrüßenswerten Schritte dokumentiert der Band Rethink Economy. Das Buch widmet sich laut Untertitel der „Perspektivenvielfalt in der Nachhaltigkeitsforschung“ und präsentiert dazu „Beispiele aus der Wirtschaftsuniversität Wien“.
WU als Avantgarde – und doch anschlussfähig
Fred Luks, Leiter des Kompetenzzentrums für Nachhaltigkeit an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) und ausgewiesener Autor sowie Experte für Nachhaltigkeit, hat für dieses Buch in das Herausgeber-Fach gewechselt. Er hat den knapp 200 Seiten zählenden, von 21 Autorinnen und Autoren teils kooperativ verfassten Band eingeleitet und vorgelegt. Das ist ein doppelter Glücksfall für die WU: Erstens dokumentiert diese Bildungsstätte damit ihre Bereitschaft, einen aktiven Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung zu leisten. Zweitens erhält das Buch durch Luks‘ Einleitung einen Gedanken, der alles zusammenführt und einordnet. So bleibt man Avantgarde und anschlussfähig zugleich.
Das erste der vier Kapitel, „Ressourcen und Trends“ ist dem Ausgangspunkt der Sache von der Nachhaltigkeit am nächsten: Stefan Giljum, Stephan Lutter und Martin Bruckner plädieren aufgrund der Vermessung der Ressourcenproduktivität „dringend“ dafür, den Umgang mit den natürlichen Ressourcen zu ändern, um „weitere irreversible Schädigungen der für die Wirtschaft und Gesellschaft lebensnotwendigen Ökosysteme zu vermeiden“.
Zu einigen, für die konkrete Politik nutzbaren Folgerungen gelangen im selben Kapitel Jesús Crespo Cuaresma und Christoph Klugsberger in ihrem Beitrag zur Abschätzung sozioökonomischer Entwicklungen in Folge des Klimawandels. Die Ungleichheit in der Einkommensverteilung ist eine der wesentlichen Determinanten der Verletzbarkeit von Ökonomien. Fragmentierung und Ungleichheit würden – im Vergleich zu nachhaltiger oder lediglich fortgesetzter Entwicklung – das Wirtschaftswachstum am stärksten nach unten drücken. Daher ist nach Ansicht dieser Wissenschafter – wenig überraschend – weitere Forschung geboten.
Einen neuen Ansatz in der Corporate Social Responsibility formulieren Florian Findler und André Martinuzzi: Legt das Management den Fokus auf breit angelegte Wirkungsverantwortung, wäre CSR „strategisch“ im Unternehmen verankert und vom Verdacht des Window Dressing befreit. Aus der Sicht der Nachhaltigkeit ist dies ebenso erforderlich wie die von Karl-Michael Brunner trefflich argumentierte These, eine radikale Reduktion von Energiearmut in Österreich würde ein sektorenübergreifendes Politikverständnis und eine interministerielle Kooperation notwendig machen. Genau dies sei aber gegenwärtig noch nicht der Fall.
Eine andere klaffende Lücke, in diesem Fall in der Information der Öffentlichkeit, hat hingegen Klara Zwickl ausgemacht. Sie belegt im Kapitel „Gerechtigkeit, Verteilung und Arbeit“ den Zusammenhang zwischen ökonomischer Ungleichheit und der Verteilung von Umweltbelastungen und bemängelt – aus wissenschaftlicher Sicht und ohne in eine politische Wertung zu gehen – zweierlei: In Europa stehen im Vergleich zu den USA noch immer zu wenig Daten zu Umwelt und Transfers zur Verfügung, und die bereits erhobenen würden eher von den Behörden als von der Wissenschaft genutzt. Sollen Ungleichheiten, auch jene in der Verteilung von Umweltbelastungen, gemildert werden, wäre bei beiden Punkten anzusetzen, darf man aus Zwickls Zeilen lesen.
Diese Beiträge und einige weitere geben einen qualifizierten und einigermaßen allgemeinverständlich gehaltenen Einblick in das Thema. Einige wenige andere Aufsätze bräuchten etwas mehr an inhaltlicher Aufladung, um das Niveau von Debatte und Wissenschaft zur Nachhaltigkeit zu erreichen.
Der Gesamteindruck?
Das 2013 geschaffene Kompetenzzentrum für Nachhaltigkeit wirkt für die WU koordinierend nach innen und mit Publikationen sowie mit stets gut besuchten Nachhaltigkeitskontroversen nach außen. Ein Grundstock wurde dafür Ende der Neunziger Jahre gelegt. Das Institute for Managing Sustainability führt heute eine Liste von nahezu 500 Publikationen an. Diesen Schritten und der von Luks editierten Bestandsaufnahme zur Perspektivenvielfalt werden sicher weitere folgen, hat Rektorin Edeltraud Hanappi-Egger doch erst jüngst im WU-Magazin erklärt: „Ich will, dass die WU Freiräume für das Suchen nach innovativen und kreativen Lösungen in allen Bereichen bietet und sich dabei von den Grundsätzen der Internationalität, Nachhaltigkeit und Solidarität leiten lässt.“ Rethink Economy, seit 2014 mit dem neuen Standort das Motto der WU, geht in die Verlängerung.