ZENTRUM FÜR KARRIEREVERWEIGERER: GEIST ABSCHALTEN NEIN DANKE!

Das „Haus Bartleby, Zentrum für Karriereverweigerer“ in Berlin, trägt den Namen der Hauptfigur in Melvilles Roman „Bartleby der Schreiber“. Die noch junge „Loge“ sorgt mit provokanten Aktionen und klugen Analysen für einen tiefgründigen Diskurs. Im Frühjahr organisieren sie in Wien das Kapitalismustribunal. Wir haben nachgefragt.

n21: Das Haus Bartleby heißt Haus Bartleby, weil…... Herman Melville schon Mitte des 19. Jahrhunderts eine wunderbare Geschichte vorgelegt hat – »Bartleby, der Schreiber« – die die Unsinnigkeiten kapitalistischer Unrechtsproduktion aufzeigt. Ein systematischer Irrtum, der tödlich ist, und dessen gewaltige Umrisse uns allmählich vor Augen stehen. Etwas geht zu Ende. Die Gültigkeit alter Ordnungsvorstellung läuft ab.

n21: Treffen sich in eurem Club nicht eh nur Leute, die gar keine Chance haben, jemals Karriere zu machen?

Haus Bartleby: Moment! Die vorherrschende Ideologie in der neoliberalen Epoche war doch, dass jeder Chancen habe, dass Aufstieg und Glück quasi geschichtslos und universell erreichbar seien. Man müsse sich halt nur bemühen. Feststellbar ist aber, dass Verarmung, Depression und Burn-Out um sich greifen. Es kommt teils schon zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen mitten in Europa.
Der Kapitalismus ist pleite, wir dienen einem toten System, und das merken auch immer mehr Menschen, auch wenn sich das eher ungerichtet und immer häufiger gewalttätig äußert. Das hat Gründe, eine Ursache und eine Wirkung. Soviel zur Bestandsaufnahme. Ganz konkret haben einige bei uns schon in Stellungen gearbeitet, die ein gewisses Renommee oder vergleichsweise hohe Gehälter einbrachten. Oder die in höherer Position in der Betriebshierarchie waren. Da kann man dann schon von Karriere sprechen. Viele von uns wüssten auch, was sie jetzt machen müssten, um weiter aufzusteigen. Ein bisschen hier bei Chefs und Eigentümern schleimen, ein bisschen da wider besseres Wissen handeln. Und ansonsten den Geist abschalten. Und natürlich dann kritisieren, wenn es Punkte für das eigene Fortkommen einbringt.
Generell ist es aber so, dass wir den Begriff »Karriereverweigerung« auch als eine Dummheitsverweigerung begreifen, in letzter Konsequenz auch als Kapitalismusverweigerung. Die gesellschaftliche Verabredung ist nicht mehr stimmig und muss geändert werden. Das gilt für Leute, die sich im Konkurrenzsystem durchgeboxt haben genauso wie für jene, die dabei unterlegen waren oder es gar nicht erst versucht haben. Faulheit ist immer eine gute Lösung, auch wenn wir es hier derzeit nicht sind, weswegen wir für die Antwort auf deine Mail auch vier Tage gebraucht haben. Wir haben derzeit einfach wirklich viel zu tun im Organisationskomitee des Kapitalismustribunals.

n21: Was habt ihr eigentlich gegen den Kapitalismus? Und ist das nicht auch sehr anstrengend?

Der Kapitalismus ist anstrengend und produziert ganz konkrete Opferzahlen. Das blenden viele Bürgerkids in Berlin aus, die sich mit Internationals auf lecker Mate mit Kaffee treffen, während die Daddys die steigenden Mieten überweisen. Demgegenüber predigen wir aber auch keinen linken Proletkult, die Produktivitätsgewinne haben ein derartiges Maß erreicht, dass es das traditionelle Industrieproletariat ja kaum noch gibt.
Gleichwohl sind die Spannungen zwischen Kapital und abhängiger Beschäftigung noch schlimmer geworden. Wir stehen einer Riege junger Erben gegenüber, die von Tuten und Blasen keine Ahnung mehr hat, aber die monströsen Privilegien gern entgegennimmt und so geschmacklos ausübt wie nie zuvor. Die haben jeden Kontakt zur Realität verloren. Auf der anderen Seite haben immer mehr Menschen ein Unbehagen im Job: Für wen arbeite ich da? Wem nützt das? Was soll ich da verkaufen? Warum mache ich mich für den Chef hübsch? Wieso bin ich so ein ekeliges Ding, warum so mutlos, so postmodern? Bin ich das? Oder sind das äußere Zwänge, die ich erfülle, aber letztlich nur verdränge, damit ich noch einigermaßen gut dastehe.
Die sogenannte Genration Y verlässt allmählich den Zustand der Erfüllungsgehilfen mit Latte-Flatrate und wird zu einer ernstzunehmenden Bedrohung für den Privatkapitalismus in Europa. Wir erkennen: Die Postmoderne war ein Fehler. Die Geschichte ist nicht zu Ende.

n21: Was macht ihr, wenn ihr nichts macht?

Descartes beschreibt ja diesen Moment der Muße. Ein Moment der Erkenntnis, der Reflexion. So ein cartesianisches Moratorium sei wirklich jedem Menschen gegönnt, aber auch dafür muss man was tun. Er entsteht nicht aus Notwendigkeit, nicht aus Arbeit. Wichtig ist, dass es dabei nicht um Meditation geht. Es geht letztlich um eine ganz konkrete Erkenntnis. Was finde ich vor in der Realität, heute und mit anderen Menschen zusammen?

n21: Wer darf euch beim Karriereverweigern helfen? Was muss man tun (oder lassen), um in eurem Club aufgenommen zu werden?

Wir haben ein Organisationsteam, das derzeit eine Frühjahrsakademie in der Anderen Welt plant. Es gibt das Organisationskomitee des Kapitalismustribunals zusammen mit dem Club of Rome, der Rosa-Luxemburg-Stiftung und vielen anderen. Es gibt auch eine Gruppe, die an einer Kampagne arbeitet. Dann freie Treffen, die gar nicht mehr unmittelbar mit dem Haus Bartleby in Bezug stehen. Manchmal kann man sie im Park erkennen, wenn sie sich verabreden, um sich gegen die neuen Zumutungen von Vermietern zu verbünden. Generell ist es hilfreich, zu den Veranstaltungen zu kommen oder eine Mail zu schreiben. In der Konzeption und Durchführung des Kapitalismustribunals sind wir aber beispielsweise schon recht weit. Trotzdem ist jetzt ein neuer Kollege dabei, der auch schon bei der dritten Vorverhandlung am Sonntag erstmals mitwirkt.

n21: Warum soll sich irgendjemand die Mühe machen, euer Buch zu lesen? Artet das nicht in Arbeit aus?

Also die Fragen sind gut, das macht Spaß! Naja, also wenn sie nicht so gerne lesen, dann können sie ja auch was anderes von uns konsumieren und müssen keinen Cent dafür ausgeben. Wir haben beispielsweise die meisten Folgen der Reihe mit dem schönen Titel WERK ins Internet gestellt, wo wir mit geschätzten Kollegen und der Versammlung frei denken und diskutieren. Das kann man sich einfach reinziehen. Fast schon wegschlabbern wie einen giftgrünen Bubble-Tea. Natürlich ist die Qualität nicht wie bei Netflix, aber das Kartenhaus des Kapitalismus wird trotzdem sichtbar, ganz ohne auf ideologische Termini zurückzugreifen. Wer muss von »Produktivkräften« reden, wenn er das vermeintliche Jobwunder auch ohne dogmatische Begriffe vernichten kann? Aber im Ernst: Die Einnahmen des Buches kommen unserer Lobby zugute. Sollte das Buch wider Erwarten ein Bestseller werden, werden wir geschwisterlich mit allen 42 BeiträgerInnen und IllustratorInnen teilen, die es möchten. In jedem Fall wird die Bilanz der Buchproduktion transparent gemacht, damit jeder sehen kann, wie hier gewirtschaftet wird und wie Einnahmen verteilt werden.

n21: Und warum habt ihr euch der Mühe unterzogen, ein Buch zu schreiben?

Das Buch beinhaltet feine Originalbeiträge von Mitstreitern in der Lobby, Menschen unseres gesteigerten Vetrauens, Schriftstellern, die wir um ihr Plädoyer baten. Und auch von uns, die wir jeden Tag am Haus Bartleby arbeiten. Auch wenn das mit der Arbeit bei einer Loge für mehr Faulheit paradox klingen mag: Es ist einfach wirklich viel Arbeit. Und wie immer sieht man die meiste gar nicht. Unser Mitstreiter, der promovierte Philosoph, Buchautor und Cuba-Reisende Patrick Spät hat dafür zum Beispiel wirklich viel geleistet. Das Buch ist ein vielstimmiges Plädoyer für den lebenslangen Generalstreik geworden. Arbeit ist kein Selbstzweck, da haben linke Dogmatiker in früheren Zeiten schlimme Fehler gemacht. Ohne Paul Lafargue und »Das Recht auf Faulheit« kann es keine bessere gesellschaftliche Vereinbarung geben. In unserem Buch schreiben beispielsweise Lucy Redler, Guillaume Paoli, Hans-Peter Müller, Hendrik Sodenkamp, Elisabeth Voß, und auch Patrick Spät ist mit einem wirklich feinen Plädoyer selbst dabei!

n21: Wer sind eure Vorbilder?

(Scheint verblüfft, spricht dann aber schnell) Gregor Gog, Nina Simone, Egon Erwin Kisch, Max Weber, Dirk von Lowtzow, Naomi Klein, Uwe Wesel, Christine Ax, Yves Saint Laurent, Frantz Fanon, Walter Benjamin, François-Noël Babeuf, Fetewei Tarrekegn, Johanna Bussemer, Donella Meadows, Siegfried Lenz, France Gall, Gerd Fuchs, Joseph Beuys, Hanna Mittelstädt, Beethoven, Arturo Toscanini, Puccini, Lutz Schulenburg, Ernst Toller, Anne Drees, Ernst Ulrich Weizsäcker, Richard Staimer, Lucy Redler, Hélène Cixous, Altin Rrakli, Luigi Pirandello, Maxim Biller, Pier Paolo Pasolini, André Trulsen, Stephanie von Beauvais, Kristin Gierisch, Norbert Blüm, Paul Herden, Philipp Grütering, Friedrich Engels, Morten Olsen, Thomas Scheibitz, Oscar Wilde, Paul Auster, Emma Goldman, Christian Streich, Bilderbuch, Réné Hamann, Wolfgang Bernhardt … und einige Menschen, von denen wir heute noch überhaupt nichts wissen.

n21: Was für eine Welt hätten wir, wenn wir alle uns eurer Bewegung anschließen würden? Geht das?

Nein, das geht nicht, glücklicherweise – das müssen sie schon selber machen. Aber sie können ja ihre eigene Lobby gründen, ihr eigenes Haus Bartleby! Aber stellen wir uns vor, es ginge, nun, dann wäre es eine Gesellschaft mit weniger Bewegung, mit mehr Fairness und vermutlich einem demokratischen Kommunismus im besten Sinne, der erstmals auch Zukunftsrechte des Planeten, die angenehme Faulheit – und die Vorzüge spleenigen Individualismus‘ berücksichtigt und sogar fördert. Und zwar auf zivilisatorisch hohem Niveau. Das ist heute schon möglich, auch dank der wunderbaren Erfindung des Internets.

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